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Die Dilettanten

Titel: Die Dilettanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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bei den Wagnerfestspielen der
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-Gemeinde eine Modenschau gibt: »Was zieht man in Bayreuth an? Grüne (Claudia Roth) zeigen sich gern in Rosa …«, oder in Beirut, wo sie einen Monat später medienwirksam mal eben die Lage im Libanon peilt: Wo immer sie sich öffentlich machen kann, ist sie dabei: mal als wiehernde Stimmungskanone, mal als Mutter-Teresa-Verschnitt, mal als »Heulsuse fürs grüne Spartenprogramm« (
WamS
) – aber meist als neoliberaler Gutmensch, und das geht so: Gegen Streubomben in Afghanistan ist sie nicht grundsätzlich, allerdings entschieden und vehement gegen ihren »unverhältnismäßigen« (!) Einsatz, im November 2001 kämpft sie unter Einsatz aller Hollywood-Theatralik für das Ja der Grünen zum Afghanistaneinsatz und wirbt im Dezember gemeinsam mit der Medienexhibitionistin Nina Hagen für eine »Gala zugunsten afghanischer Frauen« – also vor allem zur Linderung der Folgen des von Roth unterstützten Krieges.
    Aber sie kann auch noch ganz anders, zum Beispiel bei der Verteidigung der »Armut per Gesetz«; denn Roth ist eine eiserne Agenda-Lady. So lehnt sie im Oktober 2007 den Vorstoß des damaligen SPD-Chefs Kurt Beck zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I rundweg ab: »Kurt Beck setzt falsche Prioritäten.« Sie kritisiert den Einbürgerungsfragebogen als »grotesken Ankreuztest«, »Schäubles Sammeltrieb« beim Entwurf für ein zentrales Melderegister und die Pläne zur Entsendung neuer Soldaten nach Afghanistan als »planloses Herumdoktern«. Es könnte niemanden ernsthaft überraschen, würde sie nach oder während ihrer politischen Laufbahn als Nachfolgerin von Thomas Gottschalk die Sendung
Wetten, dass?
übernehmen. Einstweilen aber goutierte der Parteitag im November 2008 Roths Entertainment mit 82,7 Prozent der Stimmen zur Wiederwahl als Vorsitzende, gemeinsam mit Cem Özdemir (79,2 Prozent).
     
Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Sozialpädagoge (FH), Parteichef
    Der Frühstücksdirektor der Integration
     
    Cem Özdemir, geboren am 21. Dezember 1965 in Bad Urach (Kreis Reutlingen), ist als Deutscher türkischer Abstammung das wandelnde symbolische Multikulti.
    Seit 1981 ist er bei den Grünen, ab 1987 Erzieher und freier Journalist, von 1989 bis 1994 im Landesvorstand Baden-Württemberg, seit 1994 Sozialpädagoge, ab 1994 im Bundestag, ab 1998 innenpolitischer Fraktionssprecher. Im Juni 2002 gibt er wegen eines Kredits von PR-Berater Moritz Hunzinger beide Ämter auf, sitzt aber dafür ab 2004 im Europaparlament. Im Juni 2008 kündigt er die Kandidatur für den Parteivorsitz an. Im Oktober verweigert ihm die Basis in Baden-Württemberg einen sicheren Listenplatz für die Bundestagswahl 2009. Auf dem Parteitag im November 2008 wird er gemeinsam mit Claudia Roth zum Parteichef gewählt.
    Özdemir wird dem Lager der neoliberalen
Realos
zugerechnet, aber dieses Etikett klingt ihm »zu sehr nach alten Grabenkämpfen«, wie er im Wahlkampf um den Chefsessel sagt. Er selbst sehe sich als
Reformer.
Und wie zum Beweis nennt er als sein Hauptanliegen »soziale Gerechtigkeit«. Das ist die falsche Antwort,
Chancengerechtigkeit
wäre richtig gewesen. Prompt unterstützt Renate Künast Özdemirs zwischenzeitlichen Gegenkandidaten Volker Ratzmann, und das Realo-Lager inszeniert den Listenplatz-Affront.
    Alles in allem aber hat sich Özdemir nach Beobachtung des TV-Lästerers Friedhelm Küppersbusch »bei kaum einem Streit thema je bei einer Meinung erwischen lassen«. 154 Und tatsächlich sagt er sogar in einer so zentralen Frage wie der Verlängerung des Afghanistaneinsatzes, jeder müsse nach seinemGewissen abstimmen. Er selbst räumt ein: »Zumindest drücke ich mich nicht in der Sprache von Partei-Resolutionen aus.« 155 Inhaltliche Kompetenz, besonders in Wirtschaftsfragen darf von Özdemir nicht erwartet werden, und der grüne Führungszirkel tut das auch gar nicht. Für die machtmotivierte, ungeachtet der Finanzkrise nach wie vor neoliberale Ausrichtung sorgen die Roths, Künasts und Kuhns. Özdemir ist der grüne Frühstücksdirektor, eine reine Symbolfigur – was allerdings nicht nur abwertend zu verstehen ist: Natürlich haben ein schwarzer US-Präsident, ein weiblicher Bundeskanzler oder eben ein türkischstämmiger Bundestagsparteichef nichts mit der Hinwendung zu einer solidarischen, wohl aber mit einem Schritt zu einer aufgeklärten, »offenen« Gesellschaft zu tun. Zumindest werden die geistig-moralischen Brunnenvergifter, ob nun

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