Die Dilettanten
»SED-Nachfolgepartei« höchstmögliche Lob der Konkurrenz lautet bis heute, Gysi sei »in der falschen Partei«.
Die freilich macht er erst einmal marktwirtschaftstauglich. Vor der Wende nämlich hatte die SED 2,3 Millionen Mitglieder. »Sie befehligte noch Armee, Polizei, Geheimdienst, als ihr im Dezember 1989, kurz vor Mitternacht, ein kurioser Heiland geboren wurde«, erinnert Christoph Dieckmann in der
Zeit
: »Nur in tiefster Krise konnte dieser intellektuelle Entertainer Honecker und Krenz beerben. Frisch gewählt, schwenkte Gysi statt Blumen einen Besen, verhieß demokratischen Kehraus … Im Volkskammer-Wahlkampf hielt er der Ost-Wut stand, ließ sich bedrohen und mit Kuhglocken niederläuten.« 137 So holt die PDS am 18. März 1990 immerhin 16,3 Prozent.
In der Folgezeit wird er unbezahlbar für den politischen Frieden in Deutschland. Er persönlich und die von ihm mühsam auf staatstragenden Reformkurs gebrachte PDS binden vorallem jene Ostdeutschen an die westliche Ordnung, die sonst aus Enttäuschung oder Nostalgie ins links- oder rechtsextreme Lager abdriften und zu einem Potenzial sozialer Unruhen werden könnten. Gysis erwähnter Leitspruch, »der Kapitalismus ist ungerecht, aber er funktioniert«, ist nicht unwesentlich daran beteiligt, dass Millionen von DDR-Bürgern zunächst einmal das bundesdeutsche System akzeptieren.
Als Lohn erhoffen sich Gysi und seine Partei nicht zuletzt, von den Westpolitikern als »in der Demokratie angekommen« geadelt und irgendwann einmal auf gleiche Augenhöhe befördert zu werden.
Alles ändert sich quantensprungartig mit dem Zusammengehen mit der bundesdeutschen WASG, sprich: mit Oskar Lafontaine, in dessen (Wind-)Schatten sich Gysi seither bewegt. Aber je tiefer die Krise der westlichen Marktwirtschaft und Demokratie, je verbissener die Hasstiraden gegen die Partei Die Linke, desto mehr bekommt auch Gysi sein Fett weg. Doch seine Partei ist derart im Aufwind, dass Gysi zum Beispiel angesichts katastrophaler Mängel in Sachen Kinderbetreuung und Gesundheitswesen Gotteslästerliches über die DDR sagen kann: »Sie war undemokratisch, sie schränkte Freiheit ein, sie hatte eine unproduktive Mangelwirtschaft. Aber was in ihr gut war, wirkt wie Hefe weiter: Krippen, Kindergärten, Polikliniken … Das kommt alles wieder, und sei es über Frau von der Leyen.« 138
Und damit nicht genug. Auch außenpolitisch nimmt er den Gegnern den Wind aus den Segeln. Im April 2008 gratuliert er dem Staat Israel zum 60. Jahrestag seiner Gründung und fordert »Solidarität mit Israel« als Bestandteil der »deutschen Staatsräson«. 139
So ehrlich Gregor Gysi dies auch meint: Mit dem Bekenntnis will er gleichzeitig einen großen Stolperstein auf dem Weg zurZusammenarbeit mit der SPD auf Bundesebene aus dem Weg räumen: Man tut dem Demokraten, Humanisten und Selbstdarsteller Gysi wohl kaum übermäßig Unrecht an, wenn man ihm als einen seiner letzten großen Lebensträume ein Ministeramt in einer rot-roten Bundesregierung unterstellt – egal, welches.
Ulrich Maurer (Die Linke), Jurist, Parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer
Der Prätorianer der Linken
Ulrich Maurer, geboren am 29. November 1948 in Stuttgart, zieht selbst dort Strippen, wo keine sind.
Ab 1969 ist er in der SPD, von 1971 bis 1979 im Stuttgarter Gemeinderat, ab 1975 im SPD-Landesvorstand, seit 1977 Rechtsanwalt, ab 1977 im Landespräsidium, ab 1981 Landesvize, von 1987 bis 1999 Landeschef, von 1990 bis 2003 im Bundesvorstand, zur Bundestagswahl 1994 im Schattenkabinett von Rudolf Scharping als Innenminister vorgesehen. Von 1995 bis 1999 und von 2000 bis 2001 im SPD-Präsidium. Ab 1980 ist er im Landtag Baden-Württemberg, ab 1988 Fraktionsvize und von 1992 bis 2001 Fraktionschef. Am 24. Mai 2005 schreibt er dem SPD-Vorstand aus »Wut und Verzweiflung« einen »Brand-brief« (Maurer), in dem er den Verrat an sozialdemokratischen Idealen anprangert. Im Juni 2005 tritt Maurer von der SPD zur
Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit
(WASG) über, gleichzeitig der Linkspartei bei und wird deren Spitzenkandidat für Baden-Württemberg zur Bundestagswahl 2005. Seit Oktober 2005 ist er im Bundestag und Parlamentarischer Geschäftsführer sowie seit Juni 2007 im Geschäftsführenden Parteivorstand.
Mit den nassforschen Umgestaltern der Sozialdemokratie legtsich Ulrich Maurer schon immer an. In den frühen achtziger Jahren unterstützt er gegen die damalige SPD-Führung unter Bundeskanzler
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