Die Dilettanten
gemeinsam mit integeren SPD-Politikern wie Ulrich Maurer und Rudolf Dreßler gegen den neoliberalen rot-grünen Regierungsentwurf zur Rentenreform. Aber ehrliche humanistische Politik bekommtihr schlecht in einer Partei, in der eine eigene Meinung von Anhängern des Leninschen Demokratischen Zentralismus wie Struck und Müntefering prompt abgestraft wird.
Nachdem sie am 22. September 2002 ihren Wahlkreis 101 Ahrweiler verliert und auch über die Landesliste nicht am Wählerwillen vorbei reinrutschen kann, schwört sie sich: »Das passiert mir nie wieder.« Und sofort versucht sie es auf die unsportliche Art: Keine zwei Wochen nach dem Wahlfiasko flötet Juso-Chef Niels Annen im Interesse der früheren Juso-Chefin Nahles, der im Juli 2002 hinausgeworfene Verteidigungsminister Rudolf Scharping solle nicht zu einer Belastung für seine Partei werden und sich jetzt ehrenvoll aus seinen bundespolitischen Ämtern verabschieden. Der Clou: Wenn »Bin Baden« verschwindet, rückt Karriere-Mamsell Nahles in den Bundestag nach.
Aber Scharping hält bis 2005 durch, und so macht die SPD die Germanistin zur Gärtnerin: zur Leiterin der Projektgruppe Bürgerversicherung. In dieser Zeit jedenfalls ist über die Netzwerk-Frau mangels Relevanz nicht einmal etwas Negatives zu sagen: Ihre Beiträge lesen sich zumeist wie die SPD-Flugblätter. Allerdings wird ihr ein großer Anteil am Sturz bereits dreier Parteichefs zugeschrieben: »Rudolf Scharping, Gerhard Schröder und Franz Müntefering haben die Frau aus der Eifel kennen- und fürchten gelernt.« 195
Ihre Sternstunde hat sie am 31. Oktober 2005 als
Königsmörderin
, als sie der Parteivorstand in einer Kampfabstimmung mit 23 zu 14 Stimmen gegen Franz Münteferings Liebling Kajo Wasserhövel als Generalsekretärin nominiert. Die entscheidenden Stimmen soll
Hubertus Heil
bei seinen Fraktionskollegen vom unpolitisch neoliberalen Jungkarrieristen-Zirkel
Netzwerk Berlin
besorgt haben. Als Müntefering beleidigt hinwirft, hat auch Nahles auf ihr neues Amt keine Lust mehr und hält sich vorübergehend bundespolitisch zurück.
Aber sie will nicht immer den Schwarzen Peter. So gibt sie ihrerseits die Mitschuld für den Rücktritt von Parteichef Kurt Beck im September 2008 »Heckenschützen in den eigenen Reihen«. 196 Gewissenhaft und verbissen fordert sie, die Reformen müssten nachgebessert, ausgewogener und sozial verträglicher werden und so weiter – das gesamte Kritikprogramm, mit dem Fernsehzuschauer und Zeitungsleser in immer kürzen Abständen bombardiert werden, je näher der Wahltermin rückt.
Und dann kennt die »Literaturwissenschaftlerin« kein Halten mehr. Auf dem absoluten Höhepunkt des weltweiten Marktwirtschaftsdesasters fordert sie »Konjunkturanreize in Milliardenhöhe zur Eindämmung der Folgen der Finanzkrise« und will die Manager mit ihrem Privatvermögen zur Kasse bitten. Origineller ist da schon ihr Beitrag zum bayerischen Wahlkampf: »Andrea Nahles lässt tief blicken«, titelt
Bild
im September 2008, als sie im roten Dirndl auf dem Oktoberfest aufkreuzt.
Inhaltlich scheint sie als »Parteilinke« schon deshalb heillos überfordert, weil der Hauptgegner derzeit gerade links von der SPD sitzt und im Wesentlichen nichts anderes vertritt als frühere SPD-Positionen. Ob das quirlige Politchamäleon tatsächlich zur »Geheimwaffe der SPD gegen Oskar Lafontaine« (
Welt
) taugt, darf mit Spannung erwartet werden.
Olaf Scholz (SPD), Jurist, Bundesminister für Arbeit und Soziales
Zeichen der SPD-Personalschwäche?
Olaf Scholz, geboren am 14. Juni 1958 in Osnabrück, ist ein marktradikaler bürokratischer Allrounder.
Seit 1975 ist er in der SPD, von 1982 bis 1988 Juso-Bundesvize, seit 1985 Rechtsanwalt, von 1994 bis 2000 SPD-Chef in Altona, von 2000 bis 2004 Hamburger Parteichef, ab 2001 imBundesvorstand, von 2002 bis März 2004 Generalsekretär, der bei Schröders Rücktritt als Parteichef ebenfalls hinwirft. Seit 1998 ist er im Bundestag, zwischendurch von Mai bis Oktober 2001 Hamburger Innensenator, ab 2005 Parlamentarischer Geschäftsführer, seit November 2007 Bundesminister für Arbeit und Soziales.
Scholz gilt als knallharter Schrödianer, also als eingefleischter Neoliberaler, und als solcher hält er staatliche Arbeitsvermittlung ohnehin für überflüssig. Daher kann es ihm nur recht sein, wenn der Bundesrechnungshof vernichtende Kritik an den Jobcentern übt und die schlechte Betreuung von Arbeitslosen sowie die Verschwendung von über einer
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