Die Dilettanten
gleiche Zugangschancen zu guter Bildung, wirtschaftlichem Erfolg und sozialem Aufstieg haben … Noch immer lebt ein großer Teil der Menschheit in tiefster Armut. Das ist die hässliche Seite der Globalisierung, die Rücksichtslosigkeit des Stärkeren, und leider ist daran auch Europa beteiligt … Lasst uns nicht übersehen, dass wir in einer Welt leben und dass wir Fairplay brauchen statt Gemeinheit, Brot und Bücher statt Aufrüstung, Respekt statt Überheblichkeit
.« 268
Und weil er auch noch wiederholt das Wort »Menschenwürde« benutzt, springt die neoliberale Presse im Dreieck. »Köhler mimt den Sozi«, lästert Carsten Volkery im
Spiegel
, und als Köhler im Mai 2008 die Finanzmärkte als »Monster« zu bezeichnen wagt, dreht
Welt Online
verbal durch: »Köhlers ›Monster‹-Debatte gefährdet Deutschland.« 269
Ob aus tieferer Einsicht oder weil er an seine Wiederwahl denkt: »Horst Köhler hat sich bewegt«, wie Holger Schmale in der
Berliner Zeitung
treffend bemerkt.
Dabei lässt er eigentlich schon früh erkennen, dass er nicht der pflegeleichte neoliberale Mitläufer ist, als der er vor der Bundestagswahl 2005 vom Misserfolgsduo Merkel/Westerwelle ins Amt gehievt worden war: Am 24. Oktober 2006 verweigert Köhler dem vom Bundestag beschlossenen Flugsicherungsgesetz zur Privatisierung der Deutschen Flugsicherung (DFS) ebenso die Unterschrift wie am 8. Dezember 2006 dem Verbraucherinformationsgesetz – beide Male wegen Verfassungswidrigkeit.
Anders als sein Vorgänger Roman Herzog, der mit seiner tumben neoliberalen »Ruckrede« die Herzen der Wohlhabendenund ihrer Politiker im Sturm eroberte, erweist sich Köhler zusehends als zäher Brocken. Und je mehr er sich bei bis zu 80 Prozent Zustimmung der Bürger zum Volkstribun entwickelt, desto reservierter dürften ihm die Koalitionsspitzen gegenüberstehen.
Fest steht: Dafür, dass er nichts zu sagen hat, sagt er eine ganze Menge, zum Beispiel in seiner Weihnachtsansprache 2008: Nichts für die Ewigkeit, aber für das Archiv unfreiwilligen Humors ist sein Tipp, die »Krise als Chance« zu begreifen, der auch vom
Anstalt
-Kabarettisten Urban Priol hätte stammen können.
Heiner Geißler
Das ewig schlechte Gewissen der C-Parteien
Das unermüdliche Treiben des ewigen Unruhestifters Heiner Geißler ist nur zu verstehen, wenn man weiß, dass er ursprünglich katholischer Priester werden wollte und nach dem Abitur immerhin vier Jahre lang Mitglied der Jesuiten war. Zurück im weltlichen Leben, war er Amtsrichter, von 1965 bis 1967 und von 1980 bis 2002 im Bundestag, von 1982 bis 1985 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, von 1977 bis 1989 CDU-Generalsekretär und von 1994 bis 2002 im CDU-Bundesvorstand. Kurzum: So einen kann man auch nach seinem Attac-Beitritt 2007 nicht ohne weiteres zum Stalinisten oder al-Qaida-Sympathisanten stempeln.
Was ihn auch bei Kreisen seiner eigenen Partei so verhasst macht, das ist sein kritischer Vergleich der Politik des »christlichen Abendlandes« und insbesondere der CDU mit dem Wort des überlieferten Christus, denn das kann ja eine C-Partei selbst bei neoliberaler Ausrichtung schlecht als nostalgischen Humbug abtun. So fragt Geißler unverblümt:
Was würde Jesusheute sagen?
Und er antwortet: »Millionen von Menschen haben durch … Manipulationen der reichen Länder ihr Vermögen und ihre Existenzgrundlage verloren … Jesus hätte nicht nur die Tische im Tempel umgeworfen.« 270
Überhaupt ist für Geißler »das Menschenbild des Evangeliums eine unverzichtbare Voraussetzung für eine ethisch relevante Politik« und nur dadurch »das Wort christlich im Namen einer politischen Partei« zu rechtfertigen.
Insbesondere kritisiert er jene Parteifreunde, die sonntags in der Kirche als »politische Schausteller« die Frommen herauskehrten, aber nichts dabei fänden, »gleichzeitig tiefe Einschnitte ins soziale Netz, die Kürzung der Sozialhilfe zu verlangen, den Kündigungsschutz abzuschaffen, Lohndumping als Wettbewerbselement zuzulassen, statt einer Bürgerversicherung das Risiko von Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu privatisieren und auf den Kapitalmarkt zu verfrachten.« Dies sei »mit der Botschaft des Evangeliums nicht zu vereinbaren«. 271
In seinem legendären
Zeit
-Artikel »Wo bleibt euer Aufschrei?« vom November 2004 stellt er fest: »Den Menschen zeigt sich die hässliche Fratze eines unsittlichen und auch ökonomisch falschen Kapitalismus«, und am 16. August 2005 wettert er
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