Die Dilettanten
Berliner Ku'damm testet, ob man ihn noch erkennt, so probiert Schröder einfach aus, inwieweit die ihm eigene nassforsche Demagogie noch verfängt und wie viel er sich gegenüber den Medien und dem Volk nochherausnehmen kann. Für die Agenda-Fraktion der SPD aber ist es ein gewaltiges Armutszeugnis, einen amtierenden Freizeitpolitiker wie Gerhard Schröder vorschicken zu müssen.
Joschka Fischer
Der große grüne Schatten
Vom Taxifahrer und anarchistischen Steinewerfer zum beliebtesten deutschen Politiker und international anerkannten Staatsmann – das muss Joseph Martin (Joschka) Fischer erst einmal jemand nachmachen. Und auch, wie er die Grünen Schritt für Schritt, machtbewusst und zielstrebig von einer alternativen zu einer stinknormalen gesellschaftsfähigen Partei umgebogen hat: 1991 in Hessen die erste grüne Regierungsbeteiligung, 1995 im Falle des UN-Mandats in Bosnien das erste Ja zu Bundeswehreinsätzen, dann Aufgabe der Skepsis gegenüber Marktwirtschaft, schließlich als Außenminister enger Freund der US-Kollegin Madeleine Albright, was ihm ja auch einen Nachfolgejob als »Senior Strategic Counsel« in deren Beraterfirma
Albright-Group
einbringt. Überhaupt ist der Ex-Minister bestens beschäftigt: er hält jede Menge Vorträge für Heuschrecken wie
Barclays Capital
oder
Goldman Sachs
, ist Gastprofessor für internationale Wirtschaftspolitik an der Princeton University, »Senior Fellow« am
Liechtenstein Institute der Woodrow Wilson School,
gründet die Beraterfirma Joschka Fischer Consulting, ist Gründungsmitglied und Vorstand des vom Milliardär George Soros finanzierten
European Council on Foreign Relations.
All dies bringt ihm vom
Spiegel
den Ehrentitel »Grüne Raupe Nimmersatt« ein: Schon allein Fischers »elegante Villa in Berlin-Grunewald würde als Residenz jedem kleineren europäischen Staat zur Ehre gereichen 264 .«
Aus kleinen Verhältnissen nach oben um
jeden
Preis – diese Seelenverwandtschaft könnte auch die insgesamt prächtige Harmonie zwischen Schröder und Fischer erklären. Ohne Fischer kein Kanzler Schröder und ohne Schröder kein Liebling Fischer.
Es versteht sich allerdings von selbst, dass zu alledem zwei gehören: Fischer wäre nie das geworden, was er wurde, ohne Parteifunktionäre, die zu Recht als »Versorgungskarawane« bezeichnet werden: Die Zustimmung zu Kriegseinsätzen, zur Türöffnung für den Raubtierkapitalismus und zur Armut per Gesetz gab ja wohl nicht Fischer allein, sondern die gesamte Fraktion, häufig sogar gedeckt durch Beschlüsse der Basis. Und zumindest bei der Führungsgruppe liegt das Motiv auf der Hand: Wie kann man als mittelmäßiger Lehrer, Wissenschaftler, Jurist oder Künstler groß rauskommen, »reich, mächtig und berühmt« werden, wenn nicht durch die Politik? Und sind nicht gerade diese Ziele nach der Theorie der Marktwirtschaft und seines
homo oeconomicus
äußerst »rational« – während Solidarität, Humanismus und erst recht »Altruismus« als Fälle für den Psychiater gelten? Nun war ja schon Fischers ganzes Leben das eines prinzipienlosen Aufsteigers – eben eines
homo oeconomicus
in Reinkultur. Schwer nachvollziehbar eigentlich, dass uns die neoliberale Theorie damit ernsthaft weismachen will, es würde dem Gemeinwohl am meisten nutzen, wenn alle Menschen – zumindest die Männer – so wären wie Joschka Fischer.
Wenig erstaunlich und bezeichnend für die Grünen ist allerdings, dass Fischer auch vom politischen Altenteil aus munter ihre Politik mitbestimmt. Mal erklärt er die Kohle als Übergangstechnologie für unverzichtbar, mal bemerkt er zum Scheitern des rot-grünen Koalitionsversuchs in Hessen und den Folgen für die Neuwahlen, es werde »alles richtig rein hauen, nicht nur bei der SPD, ich fürchte, auch bei uns«. Resümee der
Süddeutschen Zeitung
im November 2008: »Joschka nervt die Grünen.« 265
Wolfgang Clement
Amoklauf im Konzern-Interesse
Als Wolfgang Clement kurz vor der hessischen Landtagswahl 2008 de facto dazu aufrief, die SPD wegen der Atompolitik Andrea Ypsilantis nicht zu wählen, da sprach weniger der Parteifreund als vielmehr der
RWE
-Aufsichtsrat. Immerhin würde ein Verzicht auf den Atomausstieg dem Konzern etwa 3, 5 Milliarden Euro einbringen. Da nun aber Ypsilanti exakt die offizielle Parteilinie vertrat, hätte Clement unverzüglich aus der Partei ausgeschlossen werden müssen. Dass dies nicht geschah, wirft ein Schlaglicht auf die politisch-moralische Verfassung der
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