Die Dilettanten
SPD.
Überhaupt lohnt eine Betrachtung der politischen Vergangenheit Wolfgang Clements: Allein während seiner vier Jahre als NRW-Ministerpräsident befassten sich Untersuchungsausschüsse des Landtags unter anderem mit möglichen »Verfehlungen, Interessenverquickungen und Patronagepraktiken« Clements. Eine seiner ersten Amtshandlungen, die Zusammenlegung von Justiz- und Innenministerium wurde kurz darauf vom NRW-Verfassungsgerichtshof wieder kassiert.
Clements Einsatz für den umstrittenen Braunkohle-Tagebau Garzweiler II kann man durchaus damit in Zusammenhang bringen, dass er jetzt im Aufsichtsrat des Tagebaubetreibers
RWE Power AG
sitzt. Aber ob nun Atomkraft oder Braunkohle: Clement hat weder eine Ausbildung in Wirtschaft noch in Energie- oder Umweltfragen. Er ist schlichter Boulevardjournalist, und sein Karrierehöhepunkt von 1986 bis 1989 war Chefredakteur der
Bild
-ähnlichen
Hamburger Morgenpost
.
Zu diesem Niveau passt auch seine unvergessene Broschüre vom Wahlkampfsommer 2005, die unter dem Titel
Vorrang für die Anständigen
–
Gegen Missbrauch, »Abzocke« undSelbstbedienung im Sozialstaat
mit Begriffen wie »Schmarotzer« und »Parasiten« nicht nur nach Meinung von Christian Bommarius »die Spaltung der Gesellschaft effektiv und nachhaltig beschleunigte«. 266 Auch das Gesamturteil des renommierten Autors der
Berliner Zeitung
über Clement & Co. ist vernichtend: »Politiker seines Schlags halten den Vordergrund, den Fokus des Scheinwerferlichts für ihren natürlichen Weidegrund – zu klein, um andere darauf grasen zu lassen, aber groß genug, um sich mopsfidel zu mästen. Diese Charaktere sind so unangenehm wie langweilig; sie gleichen sich bis zur Ununterscheidbarkeit, mögen sie sich nun in Clement, Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine, Edmund Stoiber oder Otto Schily manifestieren.«
Mehr noch als im Falle Gerhard Schröder gilt: Was ist das für ein rechter Parteiflügel, der solche Figuren zur Rettung der neoliberalen Agenda 2010 benötigt? Aber auch der Rest der Partei stellt sich ein Armutszeugnis aus: Als Clement im August 2008 eine halbherzige Entschuldigung hinwirft, sind alle Flügel hellauf begeistert und klappen die Akte Clement einstweilen zu. Dass auf massiven Druck Franz Münteferings die Bundesschiedskommission Clement nur rügt, aber nicht ausschließt, damit der Energie- und Zeitarbeitswirtschaft ihr lautester Lobbyist in der SPD erhalten bleibe, hatte der politische Gegner schon voreilig als Wahlkampfhilfe begrüßt, als Clement dann der Partei den Schrecken ohne Ende durch Austritt ersparte. Grund: »Ich sollte entmannt werden.« 267
Horst Köhler
Vom Neoliberalen zum Volkstribun
Man möchte dem freundlichen Schwaben nicht zu nahe treten, aber schon laut Verfassung hat er eigentlich nichts zu sagen. Bestenfalls kann er einige Gesetze verzögern, indem er ihre Unterzeichnung verhindert. Andererseits genießt der Bundespräsident als solcher einen irrationalen Respekt: Wenn auch nur seine Krawatte kritisiert wird, motzt garantiert die Gegenseite in üblichem Idiotendeutsch, damit werde »das Amt des Bundespräsidenten beschädigt«.
Im Grunde ist der Bundespräsident nur für Stimmungsmache zuständig: Direkt gewählt werden darf er bekanntlich nicht, weil seine Macht angeblich sonst zu groß würde. So aber können sie denken: »Der hat uns gar nichts zu sagen. Den haben wir ja sowieso nicht gewählt.«
Und so redet Köhler viel, wenn die Legislaturperiode lang ist. Das stört die Marktradikalen in Politik und Medien nicht weiter, solange er »auf Linie« bleibt und die »mangelnde Reform-bereitschaft der Deutschen«, also ihre Skepsis gegenüber dem rücksichtslosen Abbau des Sozialstaats, scharf kritisiert.
Dies ändert sich schlagartig mit seiner Berliner Rede am 1. Oktober 2007, als er ganz ungewohnt humanistisch vom Leder zieht und fast der Linkspartei Konkurrenz macht:
»
Die Globalisierung ist weder Naturereignis noch allein Folge des technischen Fortschritts … Sie ist politisch gewollt und bewusst beschleunigt worden durch die Öffnung der Märkte und die Schaffung internationaler Institutionen … Es greifen Abstiegsängste um sich … Der Aufstieg der einen darf nicht der Abstieg der anderen sein! … Die Arbeitnehmer sollten stärker als bisher an den Erträgen und am Kapital der Unternehmenbeteiligt werden … Wer unverschuldet in Not gerät, soll sich auch künftig auf das soziale Netz verlassen können … Es müssen endlich alle wirklich
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