Die Dirne und der Bischof
Esters Ohr, sodass Elisabeth, aber sicher auch Marthe es hören konnten. »Die Schönste ist sie jetzt nämlich nicht mehr. Das ist Lisa! Achtet nur darauf, wie die Männer sie jeden Abend ansehen!«
Das war richtig. Und obwohl Elisabeth sicher nicht so hässlich sein wollte wie Ester, war ihr dieses Kompliment unangenehm. Weder strebte sie danach, den Männern zu sehr zu gefallen, noch wünschte sie sich Marthes Eifersucht, die offensichtlich mit jedem Tag wuchs. Keine Gehässigkeit ließ Marthe aus, kein noch so kleiner Patzer Elisabeths entging ihr, auf dem sie mit böser Zunge herumreiten konnte. Und natürlich vergaß sie nie, jede Verfehlung wie zufällig vor der Meisterin zu erwähnen! Nein, auf das Privileg, die schönste Dirne des Frauenhauses zu sein, hätte Elisabeth gerne verzichtet!
»Ihr könnt zu dritt gehen«, unterbrach die Meisterin ihre Gedanken. Jeanne zog ein enttäuschtes Gesicht.
»Haltet euch nicht zu lange auf, und vergesst nichts!«, sagte sie wie jedes Mal, ehe sie ihre Schützlinge entließ. Die drei nickten gehorsam, dann klemmte sich jede von ihnen einen Weidenkorb unter den Arm, ehe sie eilig über die Wiese davongingen. Wie herrlich war es doch, dem wachsamen Auge der Meisterin eine Weile zu entgehen! Es war ein schöner Frühsommertag. Die Sonne schien vom blauen Himmel. Die Frauen rafften ihre Röcke und schritten weit aus. Während Jeanne und Elisabeth sich ihre Hauben umgebunden hatten, ließ Marthe ihr schönes Haar offen über den Rücken fallen. Für ihren Ausflug in die Domstraße trugen die Frauen nicht die bunten, unzüchtigen Gewänder, mit denen sie abends den Männern zu gefallen suchten. Ihre Kleider und Hauben waren schlicht, denn der Rat hatte ihnen inder Öffentlichkeit allen Schmuck verboten.
Für Frauen, die öffentlich Unzucht treiben, gilt, sie sollen sich von ehrbaren Frauen unterscheiden und daher keine prächtigen und geschmückten Kleider tragen, keine hochgetürmten Schleier, keine Korallen und Goldstickerei, keinen Silberschmuck.
Auch Schleppen und lange Mäntel waren verboten. Und damit jeder Zweifel ausgeschlossen war, mussten sich die Dirnen seit einiger Zeit ein gelbes Band an den Saum ihrer Röcke nähen. So war für jeden anständigen Bürger gleich erkennbar, um was für Frauen es sich hier handelte. Es war daher nicht verwunderlich, dass die meisten Bürger, denen sie begegneten, sie anstarrten. Während die Frauen zurückwichen und miteinander tuschelten, betrachteten die Männer sie oft mit begehrlichen Blicken oder riefen ihnen anzügliche Scherze hinterher. Auch die Wächter am Pleichacher Tor winkten ihnen zu. Einen von ihnen hatte Elisabeth schon ein paar Mal im Frauenhaus gesehen. Es war ein vierschrötiger Mann mit einer roten Nase, die sicher einmal gebrochen gewesen war. Er vertrat Marthe den Weg und legte ihr den Arm um die Taille.
»Gib mir einen Kuss, meine Schöne, sonst kann ich dich nicht passieren lassen.«
»Lass mich los, sonst muss ich dir zwei Pfennige berechnen«, entgegnete Marthe, doch sie lächelte zu ihm hoch, und ihre Stimme klang schelmisch. Sie behielt den strahlenden Ausdruck bei, bis sie sich von ihm abgewandt hatte, dann fiel er von ihr ab und machte wieder der mürrischen Miene Platz, die sie üblicherweise zur Schau trug. Die Verwandlung war verblüffend.
»Es ist, als würde die Sonne plötzlich von einer düsteren Wolke verschluckt und ihr Strahlen und ihre Wärme sind von einem Augenblick auf den anderen verschwunden«, sagte Elisabeth leise zu Jeanne.
Die Französin nickte. »Ja, für uns hat sie nur ihr Gekeife übrig. Wenn es aber ums Geschäft geht, wird sie im Handumdrehen zur huldvollen Königin. Sie könnte sich jederzeit einer Gauklertruppe anschließen und mit ihnen ihre Schauspiele darbieten!«
Marthe runzelte die Stirn, und ihr Ausdruck wurde noch finsterer. »Was habt ihr da zu tuscheln? Verbreitet ihr wieder Lügen über mich?«
Jeanne schüttelte den Kopf. »Nein, keine Lügen, das könnten wir mit unserem Gewissen nicht vereinbaren. Wie sprechen nur die Wahrheit!« Sie grinste, dass man ihre Zahnlücke sehen konnte. Marthe hob drohend die Hand, doch Jeanne wich hinter Elisabeth zurück.
»Danke, meine Wangen sind gerötet genug!«
Marthe wandte sich wieder ab und ging nun mit schnellen Schritten vor ihnen her. Die anderen beiden Frauen ließen sich ein wenig zurückfallen.
»Mir kommt es vor, als würde sie mit jedem Tag noch sauertöpfischer«, sagte Jeanne mit einem Seufzer. »Und
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