Die Dirne und der Bischof
entscheiden, wer im Recht und wer im Unrecht war? Urteilte der Junker aus Verbitterung nicht ein wenig hart über den Landesherrn Johann von Brunn? Sie schenkte ihm seinen Becher mit dem guten Wein noch einmal voll und setzte sich wieder neben ihn.
»Wie hat der Bischof es angestellt, ich meine, wie hat er Euch die Burg weggenommen?«
Der Junker trank und schnaubte dann abfällig. »Na, wie wohl? Er hat ein Heer von Kriegsknechten gesammelt und nach Burg Meinungen geschickt, während ich mit einer Anzahl meiner Mannen nicht da war. Bei Nacht ließ er die Mauern ersteigen und das Tor öffnen. Die Männer des Bischofs nahmen meinen Vetter Burkhard, seine Frau und die Kinder gefangen und auch meine Schwester, die mit ihrem Gemahl gerade auf der Burg weilte. Dann zogen sie weiter nach Meinungen und zwangen den Rat, die Tore zu öffnen und die Schlüssel herauszugeben.«
Nun war es Elisabeth, die nach seiner Hand griff und vol ler Besorgnis fragte: »Sind Eure Angehörigen wieder freigekommen?«
Philipp von Thann nickte. »Ja, es ist ja schon einige Jahre her. Die Frauen und Mädchen ließ er bald darauf gehen, für die Männer und Knaben hat er uns eine ordentliche Summe abgepresst. Und Meinungen mit Burg und Stadt hat der Bischof noch immer fest im Griff.« Er trank seinen Becher leer und erhob sich. Mit beiden Armen umschlang er Elisabeths Leib und drückte sie an sich.
»Wir werden uns eine ganze Weile nicht sehen. Ich breche schon in den Morgenstunden nach Geißberg auf.« Er zog eine Grimasse. »Die älteren Brüder haben zum großen Familienrat gerufen. Ich glaube, sie haben nun auch endlich eine Braut für mich gefunden, die ihrer Meinung nach genug mitbringt und deren Familie nichts gegen einen jüngsten Sohn einzuwenden hat.«
Er küsste sie sanft auf den Mund, und Elisabeth fühlte fast so etwas wie Bedauern. »Behalte dir die Unschuld in deinem Blick, bis wir uns wiedersehen«, sagte der Junker zum Abschied.
In der Nacht träumte Elisabeth wieder von dem steinernen Gang mit den erloschenen Fackeln an den Wänden und von der Tür mit dem Lichtstreifen. Sie beschloss, ganz langsam zu gehen und keinen Laut von sich zu geben, doch auch dieses Mal kam sie nicht recht vorwärts. Es war zum Verrücktwerden! Je mehr sie sich abmühte, desto schwerer wurde es. Dann würde sie es eben lassen. Sie war müde und erschöpft. Ihr warmes Bett sollte sie umhüllen und in den Schlaf wiegen.
Nein, sie wollte zu dieser Tür! Stück für Stück schob sie sich vorwärts. Zuerst hörte sie nur ihren eigenen Atem, doch dann drangen Stimmen an ihr Ohr, gedämpfte, raunende Stimmen. Elisabeth streckte die Arme aus. Ihre Handflächen berührten das Holz der Tür. Die war alt und rau, ihre Finger glitten über einen eisernen Ring. Diese Stimmen. Sie lockten sie und trieben ihr dennoch den Angstschweiß auf die Stirn. Es waren keine Worte zu verstehen. Nur ein Rauschen und ein gleichmäßiger Singsang wie von einem fernen Vogel in den Zweigen. Die junge Frau presste das Ohr an das Holz. Aber nein, da war kein Holz mehr. Was geschah um sie? Alles löste sich in Nebel auf. Sie fiel. Der Traum entglitt ihr und verwehte.
»Möchtest du mich in die Domstraße begleiten?«, fragte Jeanne am anderen Morgen in ihrer singenden Art, mit der sie die Worte betonte.
»Gern, wenn die Meisterin nichts dagegen hat.« Elisabeth hob den Blick und sah Else fragend an, die mit den Frauen draußen auf der Bank saß und ein Hemdflickte. Auch die anderen hatten sich Nadel und Faden geholt. Es gab immer etwas auszubessern. Und wenn nicht, dann konnte man Ärmel und Säume besticken.
»Ich gehe mit!«, rief Marthe. Sie warf mit einer heftigen Bewegung das Hemd, das sie gerade gesäumt hatte, auf den Tisch. »Das war so ausgemacht!«
»Vielleicht will Jeanne aber lieber die sanfte Lisa an ihrer Seite haben als dein keifendes Maul«, sagte Gret. Anna kicherte. Marthe zog Anna an ihren mausbraunen Zöpfen und trat nach Gret, die dem Tritt auswich, ohne auch nur von ihrer Näharbeit aufzusehen.
»Wenn du dich weiterhin so aufführst, dann gehst du heute nirgendwo hin«, herrschte die Wirtin Marthe an. »Ich lasse dir viel durchgehen, weil du meine schöne Stute im Stall bist, aber auch von dir lasse ich mir nicht auf der Nase herumtanzen! Hast du das verstanden?«
Marthe warf ihr einen wütenden Blick zu, doch dann senkte sie die Lider und sagte mit zitternder Stimme: »Ja, Meisterin.«
»Jetzt muss sie lernen, ihre Zunge zu hüten«, raunte Anna in
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