Die Dirne und der Bischof
ihre Hand sitzt lockerer denn je.«
Elisabeths Blick ruhte auf Marthes schmalem Rücken. »Ich kenne sie nicht so gut wie ihr, doch wenn ich sie ansehe und ihr Gezänk höre, dann empfinde ich Mitleid mit ihr.«
»Was?«, rief Jeanne ungläubig. »Mitleid? Ich glaube, sie hat dir noch nicht oft genug eine Ohrfeige gegeben oder ist dir mit ihren Krallen durch die Haare gefahren.«
»Doch, schon, aber ich denke, es muss einen Grund für ihr Verhalten geben.«
»Vielleicht liegt es daran, dass sie eine undankbare, streitsüchtige Schlampe ist?«, schlug Jeanne vor.
Elisabeth lächelte, obwohl sie eher Traurigkeit empfand. »Nein, ich glaube, etwas quält sie, und sie lässt nur ihre Ängste oder Schmerzen an uns aus. Die vergangenen Tage hat sie auch nur wenig geschlafen.«
Jeanne fragte nicht, woher Elisabeth das wusste. »Wie du auch«, sagte sie leise. »Du hast dich immer noch nicht ganz bei uns eingelebt.«
Elisabeth seufzte. »Vielleicht will ich das gar nicht?«
Marthe hatte inzwischen den Judenplatz erreicht und war stehen geblieben. Mit in die Hüften gestützten Händen stand sie da und sah die beiden Nachkömmlinge mit sauertöpfischer Miene an.
»Kommt ihr heute auch noch? Die Meisterin hat gesagt, wir sollen nicht trödeln.«
»Ja, aber es gibt auch keinen Grund zu hetzen und früher als nötig zurück zu sein«, widersprach Jeanne.
»Es ist ein so schöner Sommertag«, fügte Elisabeth hinzu, aber auch das konnte kein Lächeln auf Marthes Gesicht zaubern. Das gelang nur den Männern, die mit Münzen dafür zu zahlen bereit waren.
Jeanne wandte sich demonstrativ von Marthe ab und betrachtete die Baustelle der Marienkapelle zu ihrer Linken. Für eine Kapelle würde es ein überaus großes Gotteshaus werden. Immerhin wurde schon seit fünfzig Jahren an der Kirche für die Bürger Würzburgs gebaut, die den sündigen Fleck tilgen sollte, den die Synagoge hier hinterlassen hatte - so jedenfalls hatte der Rat es einst formuliert. Heute waren nur wenige Arbeiten im Gange, und die von Gerüsten gesäumten Wände und Bögen boten nichts Spannendes zu sehen. Ja, seit das große Portal vollendet worden war und die Bildhauerwerkstatt Würzburg verlassen hatte, ging es nur noch zäh voran.
Jeanne wandte sich den halb verfallenen Häusern auf der anderen Seite des Platzes zu. Ein Windstoß trieb eine Wolke übler Gerüche vom Rigol herüber, einem lang gezogenen Tümpel, der mit einem Arm der Kürnach verbunden war, und in dem allerlei Abfall entsorgt wurde.
»Der Ratsherr, der gestern bei mir gelegen hat, hat gesagt, die alten Judenhäuser sollen nun alle abgerissen werden, sodass um die Marienkapelle ein freier Platz entsteht. Viele Juden wohnen ja eh nicht mehr in der Stadt. Außerdem hat der Bischof den Judenfriedhof bei uns draußen an Metzger Wentzel und seine Frau Agnes verkauft.«
Elisabeth sah sie an. »Was? Er hat den Friedhof der Juden einfach so verkauft? Aber warum denn? Wie konnte er nur!«
Jeanne zuckte mit den Schultern. »Der Bischof soll neunhundert Gulden Schulden bei den Wentzels gehabt haben und hat sie dadurch abgetragen. Er verpfändet allerlei Dörfer, Mühlen, Zollrechte und was weiß ich noch. Warum sollte er dann nicht auch einen Judenfriedhof hergeben, den er nicht braucht?«
»Und doch ist es nicht recht«, beharrte Elisabeth.
Jeanne nickte. »Man tut ihnen immer unrecht. Das war schon immer so. Erst versprechen die Herrscher ihnen ihren Schutz, und dann beuten sie sie nach Belieben aus.«
Etwas regte sich in Elisabeths Geist. Wut stieg in ihr auf. Sie sah sich mit langen Schritten in einer Halle auf und ab gehen. Ihre Hände gestikulierten wild, das aufgelöste Haar schwang ihr ins Gesicht. Und dann sah sie ihn. Seine Gestalt trat aus dem Nebel. Er trug eng anliegende Beinlinge aus Seide, sein kurzes Gewand war nach der höfischen Mode in zahlreiche Falten gelegt und mit einem goldverzierten Gürtel in der Taille zusammengerafft. Er hob seine Hände und legte sie auf ihre erhitzten Wangen. Sie fühlten sich kühl an, doch sie konnte sein Gesicht nicht erkennen. Seine Stimme hörte sie dafür umso deutlicher.
»Mein kleiner Hitzkopf«, sagte er mit Zärtlichkeit in der Stimme. »Du bist der Racheengel der Armen, der Unterdrückten und Entrechteten. Du wirst sicher eines Tages heilig gesprochen und wirst einst im Himmel neben der Heiligen Jungfrau sitzen.«
»Spotte nicht«, ereiferte sich Elisabeth. »Es ist einfach Unrecht!«
»Das mag schon sein«, bestätigte der
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