Die Dirne vom Niederrhein
sich die ganze Welt untertan zu machen. Verstehst du meine Worte?«
Das Feuer in den Augen des Vikars war nicht erloschen. Im Gegenteil, als er diese Sätze sprach, loderte es so heftig, dass Maximilian ein Schauer über den Rücken lief.
»Ja, Herr.«
Noch einige Sekunden fixierte ihn der Mann. »Das ist gut. Sehr gut sogar.« Ruhig nahm er einen Federkiel zur Hand und tunkte ihn in die Eisengallustinte. In großen Schwüngen kratzte die Feder über das Notizbuch, zwei weitere lagen auf dem Tisch. »Geh zu Doktor Sylar in die Krankenstube, er wird dich versorgen, und versuch anschließend noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Morgen wird ein anstrengender Tag werden.«
Maximilian nickte, wollte ihm den Dolch reichen, der Vikar erhob die Hand, ohne hinzusehen.
»Behalte ihn. Er soll dich daran erinnern, dass du mir vertrauen kannst.«
Er war bereits völlig in seine Aufzeichnungen vertieft. Das mussten die Bücher sein, von denen das Mädchen gesprochen hatte. Ein eiskalter Schauer jagte Maximilian über den Rücken und er starrte wie gebannt auf die Schriftstücke. Zu gerne hätte er einen Blick hinein geworfen, um seine aufkommenden Zweifel wegzuwischen.
Nach wenigen Momenten der Stille verließ Maximilian die Räumlichkeiten des Vikars und machte sich auf den Weg in die Krankenstube. Schnell hatte der Arzt seine Verbände gewechselt und ihm überschwänglich für seine Hilfe gedankt. Doch die Ereignisse des Tages ließen Maximilian keine Ruhe. Als er den Weg zu seinem Schlafgemach antrat, verfolgten ihn noch immer die Worte des Mädchens. Erst vor seiner Stube, als flackernder Kerzenschimmer durch den Türspalt drang, unterbrach er seine Überlegungen. Er konnte sich nicht daran erinnern, eine Kerze entzündet zu haben. Nach einem kleinen Stups gab die Tür den Blick in den Raum frei.
Schwester Agathe saß auf seinem Bett, in der Hand einen Rosenkranz, den sie beflissen mit den Fingern bearbeitete. Ihr Gesicht lag im Halbschatten, still blickte sie aus dem Fenster. Eine Grille zirpte ihr einsames Lied in die frühen Morgenstunden hinaus, es war das einzige Geräusch, das den Raum erfüllte.
»Ich habe sie gekannt, musst du wissen«, sagte die Nonne mit leiser Stimme. »Ich habe miterlebt, wie sie aufwuchs, wie sie als kleines Mädchen mit ihren Freunden auf dem Marktplatz herumtollte. Sie hatte ein strahlendes Lächeln und glänzende Augen. Ein fröhliches Kind, mit einem Gemüt voller Leben.«
Maximilian schloss die Tür hinter sich. Hauchzart bewegte sich die Flamme der Kerze im Luftzug und zauberte dunkle Schatten an die Wände.
»Ihre Eltern hatten ein gutes Leben. Der Bauernhof ihrer Familie gehörte zu den größten in der Gegend, doch der Krieg nahm ihnen alles.« Ihre Stimme wurde noch leiser, war durchflochten von Trauer. »Sogar ihr Leben. Lange Zeit habe ich den Namen des Mädchens nicht mehr gehört, ich dachte, auch sie wäre der Grausamkeit des Krieges zum Opfer gefallen.« Langsam drehte die Nonne den Kopf zu ihm. Ihre Wangen waren feucht von Tränen. »Amelie hieß sie.«
Bedächtig erhob sie sich und blickte auf den blutigen Dolch. »Ich hatte gehofft, dass sie in der Krankenstube geheilt wird. Früher einmal heilten wir die Armen und Schwachen, ich dachte, dass es heute auch noch so ist. Zu gerne hätte ich das Mädchen noch einmal an mich gedrückt, doch es ist mir untersagt worden, das Krankenzimmer zu betreten.«
Sie stockte und trocknete die Tränen an ihrer Kutte. »Vor einigen Tagen dachte ich, ich hätte etwas in dir gesehen, ein Schimmer Hoffnung in finsterer Stunde. Wenn auch unter vielen Schichten des Hasses begraben. Nun denke ich, dass ich mich geirrt habe.« Wenige Zoll trennten ihre Gesichter. »Ich weiß, ich sollte dir verzeihen, Gott predigt, dass alleine die Vergebung unseren Weg ins Himmelreich ebnet.« Sie schien Maximilian direkt auf den Grund der Seele zu blicken. »Doch ich kann es nicht«, hauchte sie. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, beugte sie sich herab und blies die Kerze aus. Anschließend verließ sie die Stube.
Er blieb allein in der Dunkelheit zurück.
Kapitel 9
- Lebende Leichen -
Nur langsam normalisierte sich der Puls des Soldaten.
Elisabeths Kopf lag auf seiner glühenden Brust, die sich mit jedem Atemzug hob und senkte.
»Du bist wahrlich eine Meisterin deines Faches.«
Sie musste lächeln. Sie? Eine Meisterin? Ein gefährliches Kompliment für eine Frau. Ein Kuss auf seine Brust musste als Antwort genügen.
Gerade als der Soldat
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