Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
Vom Netzwerk:
Maximilian und lächelte zufrieden. Er zog ihn beiseite. »Dort bringen sie Verräter und Deserteure hin«, flüsterte er. »Ein schrecklicher Ort, der von niemandem betreten wird. Unheilvolles liegt hier in der Luft, ein Fluch, auf der gesamten Gegend.« Der Vikar streckte die Hand aus und deutete mit dem Finger in die Dunkelheit vor ihnen. »Ist dir bekannt, welche Stadt weiter nördlich liegt?«
    Maximilian nickte, machte eine Kopfbewegung in die Richtung. »Nicht weit von hier liegt Süchteln. Wenn man diesem Pfad folgt, gelangt man direkt zum Viersener Tor, der Geisespforte.«
    »Du bist weit gereist, junger Schmied, und kennst dich aus. Aber ich meine das Johannistal, gebettet in die Süchtelner Höhen. Es liegt westlich der Stadt. Ist dir dieser Ort einmal zu Ohren gekommen?«
    Natürlich hatte Maximilian die Geschichten gehört. Frauen erzählten sie ihren Kindern, damit diese nicht zu weit in das Moor hinausgingen und sich nicht in den Süchtelner Sümpfen verloren.
    »Ja, Herr. Im Zusammenhang mit der Sage der versunkenen Kapelle.«
    »Genau diese meine ich«, flüsterte er und kam ein Stück näher auf ihn zu. »Das Mädchen ist sicher tot?«
    Dabei bohrte sich der Blick des Vikars in ihn hinein. Maximilian hielt ihm stand, sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt, keine Reaktion konnte der Vikar darin lesen.
    »So wahr mir Gott helfe.«
    Ein falscher Schwur auf einen vom Schmerz besessenen Allmächtigen, der gute Menschen sterben ließ, war einfach.
    »Gut, sogar ausgezeichnet.« Der Vikar legte seinen Arm um Maximilian. »Erzähl mir, wovon die Sage berichtet.«
    Für einen Moment musste er in seinen Erinnerungen kramen, bis er die Worte fand, welche er damals gehört hatte. »Dort soll das älteste, Johannes dem Täufer geweihte Gotteshaus gestanden haben. Die Gläubigen kamen an diesen Ort, um seinen Beistand zu erflehen, meist in höchster Not. Er erhörte ihre Bitten, half jedem, der vor der kleinen Kapelle kniete und um seinen Segen bat. Doch die Menschen wurden gierig, beteten für Überfluss und Reichtum. Als sich in der Johannisnacht ein weiteres Mal viele Menschen versammelten, um zu beten, versank die Kapelle unter tosendem Donner bis zur Spitze in der bebenden Erde. Dabei riss sie viele Seelen in den Tod. An derselben Stelle bildete sich ein unversiegbarer Weiher, aus dem bis heute gelegentlich dumpfe Klänge und Glockengeläut zu hören sind. An manchen Tagen soll man sie noch erkennen … die Spitze der versunkenen Kapelle, welche aus den Sümpfen herausragt.«
    Der Vikar nickte und ließ das Bauernhaus dabei nicht aus den Augen.
    Maximilian fuhr fort: »Besonders schlimm soll es in der Nacht des 23. Juni, der Johannesnacht sein. Niemand betritt nach Sonnenuntergang das Tal. Aus den Mooren und Sümpfen rufen die Toten und locken jeden zu sich. Sie haben keine Ruhe gefunden.«
    Erst jetzt blickte der Vikar zu Maximilian. »Das soll hier anders sein. Brennt den Hof nieder!«, schrie er zu den Männern. »Nichts soll mehr übrig bleiben von diesem Frevel. Nur dann ist der Körper dieses armen Geschöpfes endlich von seinem Dämon befreit.«
    Der Pulk beantwortete seinen Befehl mit Jubelschreien, als sie ihr Werk begannen.
    »Weißt du, mein Junge … Ich rühme mich nicht für die Eigenschaften, die der Herrgott mir geschenkt hat. Und auch wenn Stolz eine Todsünde ist, eine Fähigkeit besitze ich wirklich, die ich mein Eigen nennen kann: die Menschenkenntnis.« Er zog Maximilian näher zu sich und schenkte ihm ein breites Lächeln. »Etwas sagt mir, dass in dir viel mehr steckt als ein einfacher Handlanger oder wie Schwester Agathe es gänzlich unpassend ausdrückte: eine Arbeitskraft. Vielleicht möchtest du mir bei ein paar Tätigkeiten helfen, die eher deinem Naturell entsprechen?«
    Maximilian fuhr sich über das Gesicht. Seine Hand war blutverschmiert. Es legte sich warm über seine Finger.
    »Wie meint Ihr das?«
    »Nun«, sagte der Vikar und machte eine ausladende Handbewegung. »Ich denke, du solltest ein paar Stunden am Tag in meine Stube kommen und mir ein wenig unter die Arme greifen. Beherrschst du das Lesen und Schreiben?«
    »Nicht sehr gut, Herr«, antwortete Maximilian. »Unsere Mutter brachte es uns seinerzeit bei. Zumindest ein wenig.«
    »Ich wusste, dass du etwas Besonderes bist, Maximilian. Während unserer gemeinsamen Arbeit werde ich dich unterrichten, das könnte für uns beide von großem Nutzen sein. Außerdem wirst du die aufopferungsvolle, aber leider verbitterte

Weitere Kostenlose Bücher