Die Donovans 4: Der verzauberte Fremde
ruhig, wollte nicht rechtfertigend klingen. „Es ihr gezeigt. Sie wäre fast in Ohnmacht gefallen.“ Er erinnerte sich zu gut an den Moment, an die Wut, das Schuldgefühl in ihm. „Sie ist dazu erzogen worden, nicht zu glauben.“
„Aber sie glaubt doch. Was sie ist, war immer da. Bis du es ihr nicht sagst, hat sie keine Möglichkeit zu wählen. Und bist du es nicht, der immer so großen Wert darauf legt, die Wahl zu haben?“
Liam betrachtete Sebastians selbstzufriedenes kleines Lächeln mit der wilden Abneigung, die nur Familienmitglieder füreinander empfinden können. Als sie noch Jungen gewesen waren, hatte Liam einen verbissenen Konkurrenzkampf gegen den älteren Sebastian geführt, fest entschlossen, genauso schnell, genauso clever, genauso gewandt zu sein.
Im Grunde genommen war es jedoch nichts anderes als eine umgekehrte Heldenverehrung gewesen. Und auch heute noch, als erwachsener Mann, wollte er Sebastians Respekt für sich.
„Wenn sie bereit ist, wird sie auch die Wahl haben. Und sie dann treffen.“
„Du meinst, wenn du bereit bist“, verbesserte Sebastian ungerührt. „Was ist es, Liam? Arroganz oder Angst?“
„Vernunft“, knurrte Liam und kämpfte gegen sein Temperament an. „Sie hatte ja kaum genug Zeit, um zu verdauen, was ich ihr bisher eröffnet habe, geschweige denn zu verstehen. Ihr eigenes Erbe ist so tief verschüttet, dass nicht einmal ein Funke davon übrig geblieben ist. Sie hat gerade damit begonnen, sich als Frau zu entdecken, wie könnte ich also von ihr verlangen, dass sie ihre Gabe akzeptiert?“
Oder mich. Aber das sprach er nicht aus, war sogar wütend auf sich, dass er es überhaupt gedacht hatte.
Er liebt sie, wurde Sebastian klar, als Liam sich mit einem tiefen Stirnrunzeln zum Meer hindrehte. Er liebt sie und ist zu stur, um es sich einzugestehen. Und zum zweiten Mal spielte ein verständnisvolles Lächeln um seine Lippen, obwohl er am liebsten laut gelacht hätte. So gehen also auch die Mächtigen unter, dachte er, kämpfend bis zum bitteren Ende.
„Vielleicht traust du der Frau nicht genug zu, Liam.“ Sebastian sah zu Rowan hinüber, die mit seiner Frau zusammen am Tisch saß. „Sie ist wunderschön.“
„Sie hält sich für unscheinbar, für uninteressant. Schlicht. Dabei ist sie nichts davon. Aber sie ist sensibel. Gut möglich, dass ich mehr von ihr verlange, als sie bereit ist zu geben.“
Liebeskrank, dachte Sebastian, wenn auch nicht ohne Mitgefühl. Ihm war es ähnlich ergangen, als er Mel getroffen hatte. Und wahrscheinlich hatte er ähnlich dumme Fehler gemacht. „Mit dir zu leben ist für jede Frau zu viel.“ Er grinste, als Liam sich abrupt umdrehte und ihn mit einem eiskalten Blick aus harten goldenen Augen bedachte. „Sie tut mir ehrlich leid, wenn sie dein düsteres Gesicht jeden Tag ertragen muss.“
Liams Lächeln war dünn und scharf wie eine Rasierklinge. „Und wie hält deine Frau das jeden Tag aus, Cousin?“
„Sie ist verrückt nach mir.“
„Dabei macht sie doch eigentlich einen ziemlich intelligenten Eindruck.“
„Ihr Intellekt ist messerscharf.“
„Wie lange hast du gebraucht, um ihren Geist zu verhexen?“
Dieses Mal lachte Sebastian wirklich laut, und mit einer schnellen Drehung nahm er Liam in den Schwitzkasten. „Sehr viel kürzer, als du brauchen wirst, um deine Lady davon zu überzeugen, dass sich die Sache mit dir lohnt.“
„Ach, küss mir doch die …“ Liam fluchte und wehrte sich erfolglos, als Sebastian ihn voll auf die Lippen küsste. „Dafür werde ich dich umbringen müssen“, keuchte er lachend und hob eine Braue, als Aiden auf seinen Vater zugerannt kam. „Später“, beschloss Liam und hob den Kleinen auf seine Arme.
Es war schon spät, als Liam Rowan in Anas Haus am Meer zurückließ und hinausging. Er war unruhig, aufgewühlt und erschreckt von dem Schmerz in seinem Herzen, der sich nicht legen wollte.
Er überlegte, ob er am Wasser entlangrennen sollte. Oder darüber hinwegfliegen. Geschwindigkeit, die ihn müde machen, ihn beruhigen würde, die ihn daran hindern würde, weiter zu grübeln.
Und er dachte an Rowan, die friedlich in dem stillen Haus schlief.
Er wandelte durch die Schatten und Aromen in Anas Garten, auf der Suche nach Seelenfrieden. Er trat durch die Rosenhecke, lief über den Rasen und zu der Veranda des Hauses, in dem Ana mit ihrer Familie lebte.
Er wusste, dass er sie dort finden würde.
„Du solltest längst schlafen.“
Ana hielt ihm die Hand entgegen.
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