Die Dornen der Rose (German Edition)
Guillaume zu finden. Es gab keine Reise in die Unterwelt, die sie nicht unternommen hätte.
Jean-Paul nahm Séverine auf den Arm und versicherte ihr, dass dem Jungen mit dem verletzten Arm nichts passieren würde. Und, ja, er würde bald zurückkommen.
Keine Reise in die …
Die große Karte von Paris war immer noch auf ihrem Kissen ausgebreitet. Sie griff danach und wusste, dass sie darin nicht das finden würde, was sie wissen musste. Doch es gab so eine Karte. »Warte.«
Jean-Paul drehte sich um.
»Es gibt einen Weg.«
Jean-Paul sah von der Karte zu ihr. »Ja? Was geht dir durch den Sinn?«
»Mir gehen Steine und Magnetismus durch den Sinn. Geschichte und Wäsche, die gereinigt werden muss.« Sie legte die Karte weg. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber ich brauche meinen Vater.«
40
»Ich kann dir nichts sagen, was ich nicht weiß, du blöder Hammel«, brummte Doyle.
Der Wärter, der hinter Victor stand, grinste. Doch auf ein Nicken von Victor hin stieß ebendieser Wärter Doyle mit voller Wucht gegen die Wand, um sicherzugehen, dass es auch wirklich wehtat.
»Wo ist sie?«, wollte Victor wissen.
»Ich weiß es nicht. Es ist mir auch egal.« Seine Lippe war aufgeplatzt, als er die Wand küsste. Das war zwar nur ein weiterer Schmerz unter vielen, aber dieses Mal schmeckte er Blut.
Das war die falsche Antwort gewesen. Victor gab ein Zeichen, und der Wärter ließ ihn wieder gegen die Wand krachen. Diesem Spielchen frönten sie schon eine ganze Weile. Es gab einfach keine vernünftige Möglichkeit, sich mit jemandem zu unterhalten, der einen umbringen wollte.
»Wo ist sie?«, wiederholte Victor seine Frage.
»Wenn Ihre Cousine weggelaufen ist, dann zumindest nicht mit mir.«
»Sie haben den falschen Moment gewählt, um witzig zu sein, Bürger. Wärter, bringen Sie ihn da rein.«
Es sah ganz so aus, als würde man Bestechungsversuche und Drohungen einfach überspringen und gleich zum Knochenbrechen übergehen.
Von der Wachstube führte eine Tür ins Gefängnis, die abgesperrt war. Eine Tür war zwar geschlossen, aber nicht abgesperrt, und durch diese gelangte man auf die Straße. Eine dritte Tür ging in einen Hof, der nicht größer als ein Taschentuch war. Es gab ein kleines Fenster, durch das man in diesen Hof schauen konnte.
Die Wärter hatten es sich in der Wachstube gemütlich gemacht. Leere Weinflaschen füllten die Regale über dem Kamin. Überall standen benutzte Becher herum, über den Stuhllehnen hingen Uniformjacken und auf dem Tisch lagen Knüppel, Handschellen und alte Zeitungen. Ihre Gewehre hatten sie in einer Ecke an die Wand gestellt – vier gewöhnliche Infanteriemusketen in nur mäßig gutem Zustand, geladen und mit gekreuzten Läufen.
Victor trug einen schwarzen Gehrock und Kniebundhosen mit weißen Kniestrümpfen. Wahrscheinlich kam er gerade von der Nationalversammlung. Verglichen mit den anderen wirkte er blass, geschniegelt und hühnerbrüstig. Ein hochgezüchtetes Schoßhündchen. Neben den Sansculotten-Wärtern wirkte er so zart wie dünnes Papier.
»Fesselt ihn«, befahl Victor.
Sie banden ihm die Handgelenke auf dem Rücken zusammen und schleppten ihn dann aus dem Raum. Ein weiterer Nachteil seiner Größe. Man ließ ihn nicht allein gehen. Immer dieses Misstrauen bei der Obrigkeit. Die Wärter holten den größten Stuhl herbei und hievten ihn hinein. Seine Hände blieben weiter auf dem Rücken gefesselt, während sie ein Seil um seinen Oberkörper schlangen und es festzogen. Dabei gingen sie grob, aber unpersönlich vor. An einen, der ohnehin in ein paar Tagen tot sein würde, verschwendete man keine Boshaftigkeit.
Das Seil hing etwas locker, und der Stuhl war auch nicht gerade sehr stabil. Hätte er eine halbe Stunde, könnte er sich befreien. Leider hatte Victor für die nächste halbe Stunde bereits Pläne.
»Erledigt.« Ein grauhaariger Wärter mit buschigem Oberlippenbart trat in sein Blickfeld.
»Lassen Sie mich mit ihm allein«, sagte Victor.
»Wir haben keinen Befehl erhalten, Ihnen einen Gefangenen zu überantworten.« Der da sprach, war Soldat. Wahrscheinlich ein Veteran aus den Kolonialkriegen, der im Gefängnisdienst seine Tage fristete.
»Ich sagte, Sie sollen gehen.«
»Das ist nicht die korrekte Vorgehensweise. Ohne Befehl …«
»Ich gehöre dem Komitee für Öffentliche Sicherheit an und bin ein Freund von Robespierre. Das ist der einzige Befehl, den Sie brauchen.«
Es wurde ganz still. Ein Mann raunte seinem
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