Die Dornen der Rose (German Edition)
wenn ich meine Arbeit tue.«
Eins der Mädchen im Haus hatte angefangen zu singen – Péronette, die eine wunderschöne Stimme hatte. Madame sah in die Richtung, aus der das Lied kam, und dann wieder zu Justine. »Wir sind uns sehr ähnlich … du und ich.« Mit einer Handbewegung scheuchte sie Justine fort. »Los, geh und kümmere dich um deinen kleinen Spion. Ich werde Babette sagen, dass sie nach seiner Wunde sehen soll. Ja, ich weiß, dass du dich um jede Art von Verletzung außer Kopfverlust kümmern kannst, aber wir werden Babette ein bisschen verwöhnen, indem wir sie um deinen hübschen Jungen herumglucken lassen.«
Was gab es da noch zu sagen? Dieser gefährliche, schlaue Junge gehörte natürlich nicht ihr, aber etwas zu leugnen wirkte nie sehr überzeugend. Deshalb schüttelte sie den Kopf und ging nach oben, um zu sehen, ob er ihre Habseligkeiten durchstöberte.
»Justine.«
Sie drehte sich um.
»Der britische Geheimdienst hat ihn zwar nach Paris gebracht, aber Adrian Hawkins gehört nicht zu ihnen. Er hat keinen Grund, ihnen gegenüber loyal zu sein, und nicht geringen Anlass, sie zu hassen. Wirb ihn für Frankreich an, wenn du kannst. Er würde uns sehr nützlich sein.«
Das würde interessant werden . »Ich werde es versuchen.«
42
So war die Hölle gewesen, als sie erschaffen wurde und leer war, ehe die Dämonen mit ihren Feuerkesseln und ihren Forken einzogen. Die Hölle hatte vermutlich nach nassem Stein gerochen, ehe sie sich mit Schwefeldämpfen und nach was der Teufel sonst riechen mochte gefüllt hatte.
Sie hatten Kerzen dabei, sodass fünf kleine Punkte ein bisschen Licht verbreiteten. Von allen unheimlichen Vorkommnissen, seit sie hier heruntergestiegen war, hielt sie das seltsamste in der Hand. Denn die Kerzenflamme stand ganz gerade und flackerte nur, wenn ihr Atem sie berührte. Hier unten gab es keinen Luftzug, keine Verbindung zum Wind über der Erde.
Dies hier waren die Steinbrüche, die unter Paris lagen. Kilometerlange Ausschachtungen, aus denen Paris errichtet worden war.
Der Fels um sie herum war feucht, voller Mineralien und keine Spur von Leben. Dies war das Reich der Dunkelheit. Ihre Kerzen konnten nichts dagegen ausrichten.
»Halt still.« Ihr Vater war gereizt. Er war der Einzige von ihnen, der keine Kerze mit sich trug. Er wollte, dass sie ihm Licht spendete, damit er seine Karten studieren, den Kompass zurate ziehen und mäkeln konnte. Er ließ kein gutes Haar an dem Kompass, den sie ihm gekauft hatte. »Du bringst die Nadel zum Springen.«
»Ich bringe die Nadel nicht zum Springen. Ich berühre sie ja überhaupt nicht.«
»Du brauchst sie nicht zu berühren. Deine animalische Energie beeinflusst die Nadel. Ständig hältst du den Atem an und denkst, dass wir es nicht schaffen. Die Faktoren, die eine Wirkung haben, sind ziemlich …«
Und in dieser Weise fuhr er fort zu reden.
Jetzt musste sie sich anhören, wie ihr Vater die Auswirkungen des menschlichen Körpers auf magnetische Kräfte erklärte. Sie glaubte nicht daran, und es interessierte sie auch nicht. Doch seine Stimme gab ihr das Gefühl, nicht allein zu sein. Keinem von ihnen war danach, sich in diesen engen Schächten und dunklen Winkeln zu unterhalten. Sie bewegten sich vorwärts – sechs Personen und fünf kleine Lichter.
Der Fels, auf dem sie gingen, war dort uneben und voller Furchen, wo die Steinbrucharbeiter die riesigen Blöcke auf Schlitten nach oben gezogen hatten. Manchmal stapften sie alle durch Pfützen, die mit ganz klarem Wasser gefüllt waren, doch trübe wurden, sobald sie sie hinter sich gelassen hatten. Während sie durch die Schächte gingen, tauchten vor ihnen in der Dunkelheit immer wieder Pfeiler auf, Pfeiler, die wie gewaltige Baumstämme aus dem Felsgestein wuchsen, um das Dach aus Stein zu halten. Zehn Männer, die einander an den Händen hielten, wären vielleicht in der Lage gewesen, einen dieser Pfeiler zu umspannen. Die Decke war niedrig und zwischen den Pfeilern nach oben gewölbt. Das Licht ihrer Kerzen flackerte darüber hinweg und schuf Ecken und Winkel voller Dunkelheit und Schatten.
Justine hatte Stiefel für sie besorgt. Männerstiefel. Was für seltsame und nützliche Dinge man doch in einem Bordell fand. Sollten sie und die anderen für immer in diesen höhlenartigen Gängen verschwinden, würde jemand ihre eigenen Schuhe im Keller eines Cafés in der Nähe der Sorbonne finden, wo sie ordentlich nebeneinander auf der obersten Stufe einer Treppe standen, die
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