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Die Dornen der Rose (German Edition)

Die Dornen der Rose (German Edition)

Titel: Die Dornen der Rose (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bourne
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sich nach unten in den Fels wand.
    Sie ging neben René Petitot, der zu den Leuten des Gärtners gehörte. Natürlich hatte sie schon von ihm gehört. Er war bei La Flèche das Hähnchen – ein Mann, dem die kühnsten Heldentaten nachgesagt wurden. Er und ein paar andere kannten die geheimen, verborgenen Zugänge zu den Steinbrüchen unter der Stadt. Sie führten Spatzen durch das Gewirr alter und neuer Schächte, um nachts weit jenseits der Stadtmauern im Hof irgendeines Steinmetzes wieder nach oben zu kommen.
    Nachdem sie das Hähnchen jetzt persönlich kennengelernt hatte, stellte sich heraus, dass er ein Stutzer war – ein dünner Mann, der einen Gehrock aus braunem Samt und Rüschen an den Manschetten trug, während er die Steinbrüche unter Paris erforschte. »Ihr Vater meint wirklich, er kann einen bestimmten Punkt in dem Höhlensystem finden?«, fragte er.
    »Er wird ihn finden. « Er muss ihn finden.
    Das Hähnchen meinte: »Das ist schwieriger, als Sie denken. Ich kann Ihnen ein paar Eckpunkte zeigen, aber nichts, das in der Nähe der Rue Tessier und dem Kloster wäre. Hier unten weiß man nie so genau, wo man gerade ist.«
    Sie betraten einen Gang, der zwischen zwei Schächten verlief. Er war nicht sonderlich breit. Die Wände bestanden aus Steinquadern, die mit Mörtel verbunden waren und genauso wie die Gebäude oben in der Stadt aussahen. Das war nur natürlich. Die Stadt Paris war schließlich hier entstanden. Auf diesem Steinbruch.
    Sie gingen im Gänsemarsch und folgten Justines Licht an der Spitze und der Stimme ihres Vaters, die gerade erklärte, dass Magnetismus in unterschiedlichen Farben nachzuweisen war. Hatte sie da möglicherweise etwas falsch verstanden? Jean-Paul bildete die Nachhut und achtete darauf, dass keiner im Dunkeln verloren ging. Zu beiden Seiten öffneten sich Gewölbe, die wie Münder wirkten.
    Es war nicht kalt unter der Erde, zumindest nicht eisig. Es war eher, als spürte man den kalten Hauch des Todes, den eine leere Hülle gebiert, aus der die Seele entfleucht ist. Doch hier unten hatte nie etwas gelebt geschweige denn eine Seele besessen. Diesen Fels hatte nie ein Samen berührt, noch hatte er je eine Blume gesehen. Von dem Wasser, obwohl noch so klar, hatte nie jemand getrunken. Die Luft hier unten war nie durch eine Lunge gegangen. Nichts hatte hier einen Sinn, als hätte jemand ein Buch geschrieben und es mit bedeutungsleeren Silben gefüllt.
    Ich habe alles auf diese eine Karte gesetzt. Wenn ich recht habe, werde ich Guillaume retten. Wenn nicht …
    Wenn nicht, werde ich ihn hören, wenn er stirbt .
    Das Hähnchen strebte entschlossen voran. »Ich bringe Sie so nah heran, wie ich kann. Die Karten, die von den Steinbrüchen existieren, entspringen reinem Wunschdenken. Und die Straßenkarten von Paris sind auch nicht sehr verlässlich. Wenn man die beiden nun zusammenführt …«
    Er möchte mir sagen, dass wir es vielleicht nicht schaffen werden. Das weiß ich bereits .
    Sie hielt die Hand dicht an die Kerze und fand darin Beruhigung und Trost. »Mein Vater hat vor sechs Jahren den ganzen Winter damit verbracht, Paris zu vermessen. Ständig war er mit drei Männern und Messketten unterwegs. Eine Zeit lang war er geradezu berühmt.« Auch für sie hatte das gegolten. Sie war damals die berüchtigte Tochter gewesen. »Dann ließ er Gewichte von hohen, besonders geraden Gebäuden fallen. Er meinte, in der Nähe von Wasser sei die Schwerkraft größer. Oder schwächer. Das habe ich mir nie merken können.«
    »Ich weiß, dass er Ihr Vater ist, aber …«
    »Er ist verrückt. Niemand weiß das besser als ich. Aber er ist sehr penibel in seinem Wahnsinn. Der Wahnsinn wird ihn nicht davon abhalten, für mich das Kloster von Saint-Barthélémy zu finden.«
    Ihr Vater hatte seinen Vortrag über Magnetismus beendet und war stehen geblieben, um sich anzusehen, was in die Wand geritzt worden war. Justine hielt gehorsam die Kerze für ihn hoch.
    87 G 1777
    Die Zahlen an dieser Ecke waren tief in den Fels gemeißelt, und man hatte jede Linie mit schwarzer Farbe nachgezeichnet. Unter der Nummer war noch mehr eingraviert. Ihr Vater las es laut vor: »Rue Jacques.«
    Sie befanden sich zwanzig Meter unter der Rue Jacques. Früher war es die Rue Saint-Jacques gewesen. Die Revolutionäre waren so tief unter die Erde gedrungen, dass sie sogar hier das › Saint ‹ entfernt hatten, obwohl hier außer Mitarbeitern der Minenaufsichtsbehörde und Schmugglern – und natürlich La Flèche,

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