Die Dornen der Rose (German Edition)
leider. Aber sogar kluge Frauen begehen im Namen der Liebe Dummheiten.«
»Liebe.« Justine zuckte verächtlich mit den Schultern. »Wir verkaufen Liebe an jeden, der bezahlen kann.« Sie lebte in einem Bordell. Sie wusste den genauen Preis für alles, was zwischen verschwitzten Leibern in einem Bett ablief.
Ein Funkeln huschte über Madames Silberring, als sie ihn an ihrem Finger drehte. »Du sagst es. Hoffen wir, dass die Frau nicht so zynisch ist. Wir wünschen Monsieur Doyle Erfolg bei seiner Suche nach de Fleurignac. Vielleicht wird er so wütend, dass er de Fleurignac den Schädel einschlägt. Dann wären wir den ganzen Ärger los. Vielleicht findet er sogar heraus, wer hinter de Fleurignac steht.«
»Und die Morde in England in Auftrag gibt …«
»Die nur Vergeltung herausfordern, wenn wir ihnen kein Ende setzen.« Madame sprach mit sich selber und wusste, dass ihre Worte nicht weitergetragen werden würden. »Es gibt einen tollwütigen Hund auf dem Spielfeld. Ich fürchte, dass es sich dabei um einen nicht ganz unwichtigen Franzosen handelt.«
»Die Geheimpolizei hat schon wichtige Männer erledigt.«
»Stimmt. Aber mir wäre es lieber, wenn die Engländer ihn umbringen würden. Wie Rousseau bin auch ich eine Verfechterin der natürlichen Ordnung.« Madame war ans Fenster getreten, um den Blick über Paris schweifen zu lassen. »Ich habe eine Aufgabe für dich, Justine. Keine einfache Aufgabe.«
»Dieses Mal werde ich Sie nicht enttäuschen. Ich …«
Madame gebot ihr mit einer Handbewegung zu schweigen. »Du hast mich nicht enttäuscht. Hör zu, Kind. Ich habe erfahren, dass Marguerite de Fleurignac der Fink ist.«
»Der Fink? Die de Fleurignac ist der Fink?« Nachdem es ausgesprochen war, erschien es logisch. Wenn La Flèche den Rückhalt aus dem alten Adel der Normandie besaß, erklärte das vieles. »Und ich habe es nicht herausgefunden. Trotz all der Monate, die ich für Sie bei La Flèche spioniert habe.«
»Du hast andere Dinge herausgefunden.«
»Ich habe nie auch nur einen Blick auf sie erhascht. Wir hier in Paris sind alle ein bisschen eifersüchtig, weil der Fink so auf Distanz bedacht ist. Sie trifft sich mit den immer gleichen, wenigen Freunden, die von Anfang an mit ihr zusammengearbeitet haben.«
»Und verbirgt somit ihr Gesicht vor Spionen der Geheimpolizei. Ich hoffe, dass du eines Tages genauso gerissen sein wirst.« Sie stellte den Milchkrug aufs Tablett neben eine Schüssel mit Blumenmuster. An der feuchten Asche, die in der kleinen Schüssel schwamm, erkannte sie, dass Madame vor kurzem Nachrichten erhalten und verbrannt hatte. »Hier ist deine Aufgabe. Du wirst sie, genau wie diesen William Doyle, beobachten. Wenn sich der passende Moment ergibt, wirst du dich ihr nähern und ihr Vertrauen erringen.«
»Ich würde sie gern kennenlernen.« Sie knabberte an einer Rosine. »Sie hat mehrere Anhänger Dantons aus Paris geschmuggelt. In Mistkarren. Ich bewundere das.«
»Ich habe mich auch sehr darüber amüsiert. Du wirst dich ihr als die Eule nähern und die Passwörter nennen. Versuche möglichst viele überzeugende Geschichten parat zu haben. Sie wird scharfsichtiger sein als dein Gärtner, dieser Jean-Paul. Peste . Was ist das?«
Von unten drangen das Geräusch reißenden Stoffs und ein wütender Aufschrei. Zwei Mädchen aus dem Haus schrien einander an und stritten um einen Schal, den keine der anderen überlassen wollte. Madame wandte sich resigniert der Tür zu. »Ich muss unten mal für Ruhe sorgen. Nein, steh nicht auf. So eine Leuteschinderin bin ich nicht. Du wirst erst deine Schokolade austrinken und dann auf dein Zimmer gehen. Und du wirst dich nicht waschen, meine arme Kleine. Du musst noch eine Weile weiter die Straße kehren. Aber du kannst vier Stunden schlafen. Ich werde Babette zu dir schicken, um dich zu wecken. Geh dann zum Café des Marchands und fege dort in der Gegend vor den Häusern. Bürger Doyle wird bestimmt wieder dorthin zurückkommen. Folge ihm und schau, was für ein interessantes Leben der Engländer führt.«
Justine blieb nicht sitzen, um ihre Schokolade auszutrinken, nachdem Madame gegangen war, sondern ging damit die Treppe zur Dachkammer hinauf, damit Séverine den Rest trinken konnte. Die Rosinen in der kleinen Schüssel nahm sie ebenfalls mit.
Séverine saß in ihrem gemeinsamen Zimmer auf dem Bett, summte ihrer Puppe, Belle-Marie, etwas vor und erzählte ihr Geschichten. Sie setzten sich alle zusammen aufs Bett und hielten eine
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