Die Dornen der Rose (German Edition)
mitgebracht hatte. »Victor ist höchst verärgert, dass es das Château nicht mehr gibt. Es sieht so aus, als wäre ich nicht sehr erfolgreich darin, den Reichtum der de Fleurignacs zu bewahren, der eines Tages an ihn übergehen wird.« Sie verzog das Gesicht. »Ich hätte das Feuer wohl besser nicht überleben oder auf eigene Faust durch Frankreich ziehen sollen. Mein Ruf ist jetzt nicht besser als der einer streunenden Katze.«
»Dein Ruf ist über jeden Verdacht erhaben, und dein Cousin ist ein Schwein. Er war schon mit zwölf ein Schwein, als er es genoss, mich zu verprügeln. Er hat sich nicht geändert.«
Jean-Paul fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er trug das schlichte Halstuch eines Künstlers oder Intellektuellen. Es hing jetzt lose um seinen Hals, vorn über seinem Hemd. Was für ein schönes zerzaustes Paar sie abgaben. Sie würden ganz wie Ehebrecher aussehen, wenn jemand zufällig hereinkommen sollte.
»Man hat versucht, den Silberreiher zu verhaften«, erzählte sie. »Hat Krähe dir davon erzählt?«
»Ich habe es von Silberreiher selber erfahren. Er versteckt sich. Der Mann hat an die hundert Blutsbrüder entlang der Küste. Sogar in den Fluten Noahs würde ihm nichts passieren.«
»Sie waren auch hinter Bertille her.«
»Mein Gott. Nein.«
»Ich würde nicht hier sitzen und lächeln, wäre einer von uns mitgenommen worden. Sie konnte fliehen – mit den Kindern und Alain. Keinem ist etwas passiert. Sie ist fest entschlossen weiterzuarbeiten. Sie ist und bleibt Bertille.«
Sie hatte dieses Wissen tagelang mit sich herumgeschleppt. Jetzt ließ sie ihn einen Teil der Last tragen. »Die Soldaten, die kamen, um sie zu verhaften, kannten ihren Namen. Sie wussten, wo sie lebt. Sie kannten uns alle – den Zaunkönig, den Silberreiher, die Krähe, mich. Zwölf von uns, die in der Normandie arbeiten. Aber keiner aus Paris.«
»Ach, Marguerite.«
»Es ist nicht irgendwer von La Flèche.« Sie hatte das Gefühl, als würde sie einen Stein im Magen haben. »Der Verräter gehört zu meinen engsten Vertrauten.«
»Es ist einer der Spatzen. Sie gehen nach England. Sie reden.«
»Es gibt keinen Spatzen, der so viele Namen von so vielen Routen kennen könnte. Nur einer von uns.« Sie hatte sich ein Tuch um die Schultern gelegt, damit ihr Haar nicht den Hausmantel durchnässte. Sie nahm es ab und rieb sich damit über das Gesicht. »Es ist jemand, der mir ganz nahe steht. Wem vertraue ich am meisten? Das ist derjenige, der mich verraten hat.«
»Wir wussten, dass das eines Tages passieren würde. Wir haben uns darauf eingestellt. Deine Leute haben neue Namen. Neue Zwischenstationen. Wir werden auch die Passwörter ändern. Wir machen weiter.«
»Und der Verräter macht mit uns zusammen weiter. Schick mir bald neue Spatzen.«
»Nicht bald. Heute. Eine fünfköpfige Familie. Ihr Haftbefehl wurde heute Nacht ausgestellt. Die Eule wird sie erst einmal auf dem Dachboden im Bordell unterbringen.«
»Ich kann nicht …«
»Sie werden Paris am frühen Morgen mit den Wäschereiwagen verlassen.«
»Wen wirst du zu ihnen schicken?« Jean-Pauls Blick war auf die Wand hinter ihr gerichtet, die wie weißer Marmor mit schwarzen Adern aussah. »Der Sohn ist vierzehn. Alt genug, um zusammen mit seinem Vater auf die Guillotine zu steigen.«
Die Wasserrohre in den Bädern waren nie ganz still. Mal erinnerte das Rauschen des Wassers an einen Bohrer, dann wieder war es ein Pochen, ein leises Summen. »Du sagst, ich habe keine andere Wahl. Sogar jetzt, wo wir alle in Gefahr sind, machen wir weiter.«
»Ich kann den Spatzen auch sagen, dass sie sich selber einen Weg aus Frankreich suchen sollen.« Er wartete. Jean-Paul, der Junge, den sie damals gekannt hatte, war zum Mann geworden.
Bertille hatte es bereits gesagt. Keiner von La Flèche tat das alles, um ein ruhiges Leben zu führen. »Linnet. Ich werde Linnet schicken. Sag Olivie, dass sie die Nachricht weitergeben soll. Mit ihrer Schrift.«
Sie dachte an all die Katastrophen, die sich daraus möglicherweise ergaben, aber ihr fiel nichts ein, wie sie diese hätte abwenden können. Jean-Paul wartete geduldig, dass sie weiterredete.
Ihre Leute würden sich nicht zurückziehen. Ihre Aufgabe war es, die Helden zu bleiben, die sie waren, während es Marguerites Aufgabe war, sie der Gefahr auszusetzen.
»Nichts hat sich geändert«, sagte Jean-Paul. »Nichts hat sich geändert seit der Nacht, in der du uns den Namen La Flèche gabst. Wir können nicht
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