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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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doch hatte sagen müssen.
    Ja, diese urewige Geschichte zwischen Mann und Frau, verdammt, wirklich verdammt! Für alles sonst gab’s Regeln, wonach man sich einigermaßen richten konnte, bloß dafür offenbar nicht.
    Ralph de Bricassart sprach, und seine Stimme klang sehr kalt. Dennoch war sie wärmer als der Blick, mit dem er den jungen Priester maß, der mit blutleerem Gesicht vor seinem Schreibtisch stand.
    Bricassarts Worte klangen steif und präzise bemessen. »Ihr Verhalten war nicht von jener Art, wie unser Herr Jesus Christus es von seinen Priestern verlangt. Ich glaube, Sie selbst wissen das besser als wir, die wir Sie tadeln, es jemals wissen können. Dennoch bleibt mir die Aufgabe, im Namen Ihres Erzbischofs den Verweis auszusprechen. Sie schulden ihm absoluten Gehorsam, und es steht Ihnen nicht zu, seine Entscheidungen in Frage zu stellen. Begreifen Sie eigentlich, wieviel Schande Sie über sich selbst, über Ihre Gemeinde und über die Kirche gebracht haben - vor allem über die Kirche, die Sie angeblich doch mehr lieben als irgendeinen Menschen? Ihr Keuschheitsgelübde war genauso bindend wie Ihre anderen Gelübde, und daß Sie es gebrochen haben, ist eine ganz besonders schwere Sünde. Natürlich werden Sie jene Frau nie wiedersehen, doch bleibt uns die Pflicht, Ihnen Beistand zu leisten bei Ihrem Kampf, der Versuchung zu widerstehen. Deshalb haben wir es so geregelt, daß Sie sofort aufbrechen, um Ihr neues Amt in der Gemeinde Darwin im Northern Territory anzutreten. Noch heute abend werden Sie mit dem Nachtexpreß nach Brisbane fahren. Von dort geht es mit einem anderen Zug weiter nach Longreach, wo Sie in eine QANTAS-
    Maschine steigen werden, um nach Darwin zu fliegen. Was Ihre Habseligkeiten betrifft, so werden diese im Augenblick gepackt. Man wird sie rechtzeitig zum Expreß bringen. Also haben Sie keinen Grund, noch einmal zu Ihrer alten Gemeinde zurückzukehren.
    Gehen Sie jetzt mit Pater John in die Kapelle und beten Sie. In der Kapelle werden Sie bleiben, bis man Ihnen sagt, daß es Zeit ist, zum Bahnhof zu fahren. Pater John wird Sie bis Darwin begleiten, um Ihnen Trost und Beistand zu gewähren.«
    Sie waren klug und umsichtig, die Priester in der Administration; sie gaben dem Sünder keine Gelegenheit, noch einmal Kontakt aufzunehmen zu dem jungen Mädchen, das seine Geliebte gewesen war.
    Die Sache hatte sich in seiner Gemeinde doch zu einem recht peinlichen Skandal ausgeweitet.
    Jetzt würde ihn der zuverlässige Pater John bis nach Darwin begleiten und natürlich sorgfältig im Auge behalten, er hatte da seine genauen Anweisungen. Auch für später war vorgesorgt. Man würde jeden Brief öffnen, den er aus Darwin schickte, und Ferngespräche durfte er nicht führen. Das junge Mädchen ihrerseits würde nie erfahren, wo er sich jetzt befand. Auch alles andere war sorgfältig überlegt: rigoros schien jede Möglichkeit für eine neue Versuchung beschnitten. Das Northern Territory nannte man das »tote Herz« Australiens, und Darwin war eine »Pionierstadt«. Frauen gab es dort so gut wie gar nicht. Die Gelübde des jungen Priesters waren absolut, er konnte von ihnen niemals befreit werden; und wenn er zu schwach war, um von sich aus Disziplin zu halten, so mußte die Kirche das für ihn tun.
    Ralph de Bricassart wartete, bis der junge Priester und sein Bewacher den Raum verlassen hatten. Dann erhob er sich und gelangte durch einen Korridor zu einem anderen Zimmer, in dem zwei Männer saßen. Der eine, von mächtiger Gestalt, mit prachtvollem weißen Haar und Augen von sehr intensivem Blau, war Erzbischof Cluny Dark. Von sehr vitaler Art, besaß er einen ausgeprägten Sinn für Humor und hatte eine große Schwäche für Tafelfreuden. Der andere Mann bildete zu ihm einen sehr starken Kontrast. Er war klein und dünn, und das eher spärliche Haar rund um das Käppchen schimmerte dunkel, ja schwarz. Das Gesicht wirkte eckig, mit bleicher Haut und auffallend starkem Bartschatten, und die Augen waren groß und dunkel. Sein Alter ließ sich schwer schätzen - nicht jünger als dreißig, nicht älter als fünfzig, mehr konnte man mit Sicherheit kaum sagen. In Wirklichkeit war er neununddreißig, drei Jahre älter als Ralph de Bricassart.
    »Aber so setzen Sie sich doch, setzen Sie sich doch«, sagte Erzbischof Cluny Dark herzlich. »Eine Tasse Tee haben wir bestimmt noch für Sie. Kann allerdings sein, daß wir erst eine frische Kanne kommen lassen müssen. Nun, haben Sie den jungen Mann mit den

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