Die Dornenvögel
über ihn stand: in seinen persönlichen Lebensgewohnheiten bemerkenswert genügsam, mit nur einer Schwäche, der für ein gutes - und sehr schnelles - Auto.
»Ihr Name ist französischen Ursprungs«, sagte der italienische Erzbischof. »Soweit ich weiß, sind Sie jedoch Ire. Wie paßt das zusammen? War Ihre Familie französischer Herkunft?« Ralph de Bricassart schüttelte lächelnd den Kopf. »Es ist ein normannischer Name, Euer Exzellenz, sehr alt und sehr ehrenwert. Ich bin ein direkter Nachfahre eines gewissen Ranulf de Bricassart, der zu den Edelleuten am Hofe Wilhelms des Eroberers gehörte. Im Jahr 1066 kam er mit Wilhelm nach England, und einer seiner Söhne nahm englisches Land. Unter den normannischen Königen von England erlebte die Familie eine Blütezeit, doch später, während der Regierung von Heinrich IV., überquerten einige Bricassarts die Irische See und ließen sich in jenem Teil nieder, der Pale genannt wurde. Als Heinrich VIII. sich vom Papst lossagte und die anglikanische Kirche entstand, behielten wir den Glauben Wilhelms, was nichts anderes bedeutete, als daß wir meinten, unser Treueverhältnis zu Rom habe Vorrang vor dem zu London. Als dann jedoch Cromwell das Commonwealth begründete, verloren wir unsere Ländereien und unsere Titel, die wir auch nie wieder zurückerhielten. Karl II. hatte englische Günstlinge, die er mit irischem Land belohnte. So ganz ohne Grund ist er nicht, der Haß der Iren gegen die Engländer, wissen Sie.
Jedenfalls bewegte sich das Leben der Familie von da an, wenn man so will, in relativer Mittelmäßigkeit. Der Kirche und Rom hielten die Bricassarts nach wie vor die Treue. Mein älterer Bruder besitzt ein Gestüt in County Meath und ist damit recht erfolgreich. Er hofft, daß aus seiner Zucht einmal der Sieger beim Derby oder beim Grand National hervorgehen wird. Ich bin der Zweitälteste Sohn, und es war seit altersher in der Familie Tradition, den Zweitältesten Priester werden zu lassen, falls er selbst den Wunsch hegte. Ich bin sehr stolz auf meinen Namen und meine lange Ahnenreihe, wissen Sie. Bricassarts gibt es immerhin seit fünfzehnhundert Jahren.« Ah, wie gut, das zu hören! Ein alter, adeliger Name und eine Familiengeschichte, die gleichsam ihren Kern darin hatte, daß man durch alle Verfolgungen hindurch fest zum alten Glauben hielt. »Und wie erklärt sich der Ralph?« »Eine Kurzform von Ranulf, Euer Exzellenz.« »Ah, verstehe.«
Erzbischof Cluny warf Ralph de Bricassart einen Blick zu. »Sie werden mir sehr fehlen«, sagte er, häufte Marmelade und Schlagsahne auf ein Stück Teekuchen und schob sich dann alles auf einmal in den Mund.
Ralph de Bricassart lachte. »Euer Exzellenz bringen mich in ein Dilemma! Hier sitze ich, zwischen meinem alten Herrn und meinem neuen, und wenn ich dem einen eine Antwort gebe, die ihm gefällt, so wird sie dem anderen mißfallen. Aber darf ich vielleicht sagen, daß Euer Exzellenz auch mir persönlich sehr fehlen werden, während ich mich darauf freue, Euer Exzellenz dienen zu können?« Ausgezeichnet formuliert, die Antwort eines Diplomaten. Es wollte Erzbischof Contini-Verchese scheinen, daß es wahrlich nicht schaden könne, einen solchen Sekretär zu haben. Allerdings: Er sah bei weitem zu gut aus - die feingeprägten Züge, die hohe Gestalt, die ganze Erscheinung.
Ralph de Bricassart versank wieder in Schweigen. Er starrte auf den Teetisch, ohne ihn jedoch zu sehen. Was er sah, war etwas ganz anderes. Es war das Gesicht des jungen Priesters, den er gerade gemaßregelt hatte: der bestürzte, verzweifelte Ausdruck in den Augen des jungen Mannes, als er begriff, daß man ihm keine Gelegenheit geben würde, mit seinem Mädchen noch ein letztes Mal zusammenzukommen.
Lieber Gott, dachte er, wenn ich das nun gewesen wäre, wenn es mich und Meggie betreffen würde!?
War man sehr umsichtig und verschwiegen, so konnte man gewisse Dinge vor den Oberen eine Zeitlang verheimlichen. Unter bestimmten Umständen erfuhren sie mit ziemlicher Sicherheit sogar nie etwas davon: Frauen nur während des alljährlichen Urlaubs fern von der Gemeinde. Entstand jedoch eine ernstere, tiefere Bindung, so mußten das die Oberen ganz unvermeidlich entdecken. Manchmal, manchmal flüchtete er sich geradezu in die Kapelle des Bischofspalais und kniete dann auf dem harten Marmorfußboden, bis seine Kniegelenke, seine Beine vor Schmerz so steif waren, daß er sich kaum noch erheben konnte. Nur dies hielt ihn dann gleichsam davon ab, zum
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