Die Dornenvögel
hinter der Herde das Tor und lenkte die braune Stute in Richtung Homestead. In der Nähe erhob sich eine große Gruppe von Bäumen, Eukalyptusbäume zumeist, darunter Ironbark und Stringybark.
Dankbar ritt Meggie eine Weile im Schatten der Baumriesen und ließ in Muße ihren Blick durch das Geäst schweifen. Überall sah sie Wellensittiche, die Singvögel nachahmten oder, wenn man so wollte, parodierten. Finken huschten von Zweig zu Zweig. Zwei Gelbhaubenkakadus beobachteten das Treiben sehr aufmerksam mit zur Seite geneigten Köpfen. Zwei Willy-Wagtails-Wippsterze durchstöberten den Sand nach Ameisen und machten dabei ihrem Namen alle Ehre. Ihre Sterze wippten unaufhörlich, ein lustiger Anblick. Und dann waren da natürlich auch die Krähen, und ihr Krächzen, ihr unablässiges, ihr gleichsam ewiges Krächzen schien das schlimmste Geräusch zu sein, das es im ganzen Busch gab, so ohne jede Freude, so buchstäblich trostlos, daß es einen bis in die Seele frösteln konnte und man unwillkürlich an verwesendes Fleisch dachte, an Aas und an Schmeißfliegen.
Die Fliegen, sie waren überall. Meggie trug einen Schleier über ihrem Hut, doch ihre bloßen Arme bildeten ein Angriffsziel. Unaufhörlich wippte und wischte und peitschte die Stute mit dem Schwanz, und das braune Fell zitterte und zuckte ebenso unablässig, um die lästigen Fliegen zu verscheuchen. Meggie wunderte sich immer wieder, daß die Pferde durch ihr Fell, also durch dicke Haut und dichtes Haar, etwas so Winziges und Leichtes wie Fliegen überhaupt spüren konnten. Diese Insekten waren auf den Schweiß aus, den sie begierig aufsaugten, und deshalb plagten sie Pferde und Menschen. Und bei Schafen legten sie besonders gern ihre Eier ab, und zwar überall, wo die Wolle feucht und schmutzig war, vor allem natürlich am Steiß.
Bienen summten, Libellen zuckten hin und her, und wunderbar bunte Schmetterlinge flatterten. Meggies Stute stieß mit dem Huf ein faulendes Stück Holz beiseite. Darunter waren Käfer und Gewürm, riesige Tausendfüßler, auch Spinnen, ein Anblick, daß man die Gänsehaut bekommen konnte. Kaninchen tauchten auf, von irgendwoher, und jagten los und flitzten davon und verschwanden in ihren Löchern, winzige Staubwölkchen hinter sich lassend, und schoben neugierig sofort wieder die Köpfe hoch und äugten, mit zuckenden Nasenlöchern. Ein Stück entfernt gab ein Ameisenigel in aller Hast seine Jagd auf Ameisen auf und grub sich, über das Auftauchen der braunen Stute erschrocken, mit erstaunlicher Geschwindigkeit ein.
Fast im Handumdrehen war er unter einem großen Baumstamm verschwunden, ein erheiternder Anblick, während er noch grub. Die leicht schaufelartig geformten Pfoten ließen den Sand gleichsam in Häufchen zur Seite fliegen, und die sonst so widerborstig gereckten Stacheln legten sich jetzt stromlinienförmig an den Leib an. Aus dem Schatten der Bäume gelangte Meggie auf den Hauptweg zur Homestead. In einiger Entfernung hockte eine Schar grauer, gefleckter Vögel auf dem Boden. Sogenannte Galahs pickten nach Würmern oder Käfern. Als sie die Hufschläge des Pferdes hörten, hoben sie in Masse ab, und Meggie hatte fast das Gefühl, von einer rosaroten Woge überspült zu werden. Wie durch Magie schienen die soeben noch grauen Vögel ihre Färbung gewechselt zu haben, ihre Brüste und die Unterseiten der Schwingen schimmerten nun rötlich. Wenn ich Drogheda jetzt verlassen müßte und nie zurückkehren könnte, dachte Meggie, so wäre dies in meinen Erinnerungsträumen vielleicht das Bild, das am tiefsten haftenbliebe: das Rosarot der Galahs.
Die Vögel scheuchten eine riesige Herde von Känguruhs auf, die gerade friedlich geäst hatte. Etwa zweitausend Tiere mochten es sein, die jetzt mit weiten, anmutigen Sprüngen davonjagten und, mit Ausnahme des Emu, schneller waren als jedes andere Landtier. Pferde konnten mit ihnen nicht mithalten.
Weiter draußen, überlegte Meggie, scheint es sehr trocken zu werden, sonst würde es kaum so viele Känguruhs in die Nähe der Homestead und der inneren Koppeln ziehen.
Sie liebte es, die Natur zu beobachten, doch wie stets, so wandten sich ihre Gedanken auch jetzt immer wieder Ralph zu. Noch nie war es ihr auch nur von fern eingefallen, ihre Gefühle für ihn als Schulmädchenschwärmerei zu betrachten. Sie nannte ihre Empfindungen ganz einfach: Liebe. So stand es in den Büchern, und nach den Schilderungen, wie man sie etwa in den Romanen einer Ethel M. Dell finden konnte,
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