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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Bricassart uns nie besuchen?« »Er ist sehr beschäftigt, Meggie«, erwiderte Paddy, und der leicht angespannte Klang seiner Stimme verriet, daß er die Frage keinesfalls als zufällig nahm.
    »Aber auch Priester haben doch irgendwann einmal Urlaub, nicht wahr? Er hat Drogheda so sehr geliebt, daß ich sicher bin, er würde seinen Urlaub hier verbringen wollen.«
    »In gewisser Weise haben auch Priester Urlaub, Meggie. Andererseits bleiben sie sozusagen immer in ihrem Amt. So müssen sie zum Beispiel jeden Tag die Messe lesen, auch wenn sie ganz allein sind. Ich glaube, Pater de Bricassart ist ein sehr kluger Mann. Er weiß, daß sein früheres Leben ein für allemal vorbei ist. Für ihn, Meggielein, bildet Drogheda ein Stück Vergangenheit. Wenn er zu Besuch käme, würde er längst nicht mehr die Freude empfinden wie früher.« »Du meinst, er hat uns vergessen«, sagte sie bedrückt. »Nein, nicht eigentlich vergessen. Wenn das der Fall wäre, würde er uns nicht so oft schreiben und sich erkundigen, wie es jedem von uns geht.« Er musterte sie mitleidig. »Ich glaube, es ist das beste, wenn er nie wieder herkommt. Deshalb habe ich ihn auch nicht durch eine Einladung dazu ermuntert.« »Daddy!«
    Er ließ sich nicht beirren. Sehr direkt ging er jetzt auf sein Ziel zu. »Schau, Meggie, es ist nicht recht von dir, daß du von einem Priester träumst, und es wird Zeit, daß du das begreifst. Du hast dein Geheimnis bisher ziemlich gut behütet, und ich glaube nicht, daß außer mir irgend jemand etwas von deinen Gefühlen ahnt. Aber du hast Fragen - Fragen, die du an mich richtest, nicht? Sind vielleicht nicht viele, aber doch ein paar, auf die du unbedingt eine Antwort haben möchtest. Na gut. Dann will ich dir auch sagen, daß das aufhören muß, hörst du? Pater de Bricassart hat heilige Gelübde abgelegt, und ich weiß genau, daß er überhaupt nicht daran denkt, sie zu brechen. Er hat dich sicher sehr gern, aber auf ganz andere Art, als du glaubst. Als er dich kennenlernte, war er ein erwachsener Mann, und du warst ein kleines Mädchen. Und so wie damals sieht er dich noch immer, bis auf den heutigen Tag.«
    Sie schwieg, ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Ja, dachte er, sie ist Fees Tochter.
    Nach einer Weile sagte sie schroff: »Er müßte ja nicht
    Priester bleiben. Ich habe nur noch nie eine Gelegenheit gehabt, mit ihm darüber zu sprechen.«
    Der Schock, das Entsetzen, das sich auf seinem Gesicht widerspiegelte, war so unverkennbar echt, daß dies auf Meggie tiefer und nachhaltiger wirkte als seine heftig hervorgestoßenen Worte. »Meggie! Allmächtiger Gott, das kommt doch alles nur von diesem Leben hier draußen im Busch! Eigentlich gehörst du doch auf die Schule, und wäre Tante Mary eher gestorben, so hätte ich dich nach Sydney geschickt, wenigstens noch für zwei Jahre. Aber inzwischen bist du zu alt, um noch die Schulbank zu drücken, nicht wahr? Das wäre mir nicht das Richtige, wenn deine Mitschüler dich wegen deines Alters auslachten, meine arme, kleine Meggie.« Er sprach jetzt langsamer und setzte seine Worte sehr sorgfältig und mit besonderer Betonung, um allergrößte Klarheit und Eindringlichkeit bemüht. »Pater de Bricassart ist Priester, Meggie. Er kann niemals aufhören, ein Priester zu sein, begreife das. Die Gelübde, die er abgelegt hat, sind heilig. Wenn ein Mann einmal Priester geworden ist, gibt es für ihn keine Umkehr, und seine Oberen im Seminar sorgen dafür, daß er ganz genau weiß, was die Gelübde bedeuten. Erst dann, wenn er sich über alles im klaren ist, darf er sie leisten. Und jeder, der diese Gelübde abgelegt hat, weiß ohne auch nur einen Schatten von Zweifel, daß sie niemals gebrochen werden dürfen. Nun - Pater de Bricassart hat sie abgelegt, und er wird sie niemals brechen.« Er schwieg einen Augenblick, seufzte. »Jetzt weißt du’s also, Meggie, nicht wahr? Von nun an hast du keine Ausrede mehr vor dir selbst, wenn du von Pater de Bricassart träumst.«
    Sie befanden sich jetzt unmittelbar bei der Homestead, und zwar auf jener Seite, wo die Stallungen lagen. Wortlos lenkte Meggie ihre Stute in Richtung Stalltür, während Paddy weiterritt, um seinen Rotschimmel, der ja ein reines Treiberpferd war, zu einem eingezäunten Platz unter offenem
    Himmel zu bringen. Zwei- oder dreimal drehte Paddy sich zu seiner Tochter um. Doch dann war sie verschwunden, und er gab seinem Tier die Sporen. Verdammt, dachte er, verdammt. Und er haßte sich, weil er gesagt hatte, was er

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