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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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bewußt. Könnte sogar durchaus sein, daß Ihnen die flotte Reitkluft besser stünde als das schwarze Gewand eines Priesters. Sie haben eine unverwechselbare und sehr attraktive Art, sich zu bewegen, und Sie besitzen eine ausgezeichnete Figur, die Sie sich zu bewahren gewußt haben und wahrscheinlich immer bewahren werden. Wenn man mich nach Rom zurückruft, dann, so glaube ich, werde ich Sie mitnehmen. Es wird mich in höchstem Maße amüsieren, Ihre Wirkung auf unsere kleinen, dicken italienischen Prälaten zu beobachten. Die schöne geschmeidige Katze zwischen den plumpen und verdutzten Tauben.«
    Rom! Ralph de Bricassart richtete sich mit einem Ruck in seinem Sessel auf, saß sehr gerade.
    »War es sehr schlimm, mein Ralph?« fuhr der Erzbischof fort und strich mit seiner beringten, milchweißen Hand rhythmisch über den seidigen Rücken der schnurrenden Abessinier-Katze. »Furchtbar, Euer Exzellenz.« »Diese Leute - Sie haben sie sehr gern?« »Ja.«
    »Und lieben Sie alle in gleichem Maße, oder lieben Sie
    einige von ihnen mehr als andere?«
    Aber Ralph de Bricassart war keinesfalls weniger listig als sein Herr und Meister, und er kannte den Erzbischof inzwischen lange genug, um gewisse Eigenarten recht präzise einzukalkulieren. Und so griff er jetzt auf jenen Trick zurück, von dem er aus Erfahrung wußte, daß er ein etwaiges Mißtrauen des Legaten sofort einzuschläfern pflegte. Er demonstrierte eine - scheinbar rückhaltlose - Aufrichtigkeit. Dem so klugen, durchdringenden und listigen Verstand des Italieners kam offenbar nie der Verdacht, daß eine solche recht ostentative Offenheit trügerischer sein könne als ein behendes Ausweichen. »Ich hebe sie alle, aber, ganz wie Sie sagen, einige mehr als andere. Am meisten liebe ich das Mädchen Meggie. Für sie habe ich immer eine besondere Verantwortung gefühlt. In der Familie konzentriert sich alles so ausschließlich auf die Söhne, daß man die Tochter darüber völlig vergißt.«
    »Wie alt ist diese Meggie?«
    »Genau weiß ich es nicht. So um die Zwanzig, glaube ich. Jedenfalls habe ich mir von ihrer Mutter ausdrücklich versprechen lassen, daß sie sich in Zukunft ein wenig mehr um das Mädchen kümmert. Sie soll dafür sorgen, daß Meggie ab und zu zum Tanz geht und ein paar junge Männer kennenlernt. Es wäre ein wahrer Jammer, wenn sie, auf Drogheda von allem isoliert, in dieser Weise ihr ganzes Leben vergeuden würde.«
    Ralph sprach die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, das spürte der Erzbischof mit seinem ausgeprägten Instinkt sofort. Obwohl nur drei Jahre älter als sein Sekretär, hatte er schon glanzvoll Karriere gemacht, unbeeinträchtigt durch Hindernisse, wie Bricassart sie auf seinem Weg gefunden hatte. In so mancher Hinsicht fühlte Vittorio di Contini-Verchese sich um unermeßlich vieles älter als sein Sekretär.
    Aufmerksam fuhr der Erzbischof fort, seinen Sekretär zu beobachten, auch wenn sich die angespannte Schärfe seines
    Blicks jetzt wohl ein wenig minderte. Wieder spielte er jenes so unterhaltsame Spiel, das er häufig durchexerzierte: das Spekulieren darüber, welche Triebfeder Ralph de Bricassart im Innersten bewegte.
    Zunächst hatte er geglaubt, es könnten fleischliche Gelüste sein - wenn nicht in der einen Richtung, so in der anderen. Ein Mann von solchem Aussehen und mit einem solchen Körper mußte ganz unvermeidlich bei vielen zum Objekt der Begehrlichkeit geworden sein, und zwar in einem solchen Maße, daß er sich seine Unschuld oder seine Arglosigkeit kaum würde haben bewahren können. Im Laufe der Zeit hatte Vittorio di Contini-Verchese dann festgestellt, inwieweit seine Vermutung zutraf - zur Hälfte nämlich. Präzise gesagt: Arglos war Ralph de Bricassart gewiß nicht, er wußte durchaus, welche Wirkung er auf viele Menschen ausübte. Andererseits glaubte der Erzbischof, immer sicherer sein zu können, daß die Unschuld absolut echt war. Was immer bei Ralph die Triebfeder sein mochte, um fleischliche Begierden handelte es sich offenbar nicht. Der Erzbischof hatte da verschiedentlich recht eingehend die Probe aufs Exempel gemacht. Er hatte Ralph mit erfahrenen Homosexuellen zusammengebracht, die, wäre er selbst homosexuell gewesen, auf ihn zweifellos unwiderstehlich gewirkt hätten. Er war ein überaus aufmerksamer Beobachter gewesen, um festzustellen, wie Ralph auf schöne Frauen reagierte. Die Gelegenheit zu gesellschaftlicher Begegnung ergab sich zwangloszwangsläufig. Nun, er reagierte, wenn man

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