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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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entdeckte sie in einem Busch unter einem Wassertankgestell, und zwar auf der Rückseite. Dort war sie offenbar vor der Hitze einigermaßen geschützt, genauso wie später vor dem Regen. Ich habe sie für Sie gepflückt. Als Erinnerung an mich.« Mit leicht unsicherer Hand nahm er die halbgeöffnete Blüte entgegen, blickte darauf. »Meggie, es ist nicht so, daß ich etwas brauche, um mich an dich zu erinnern. Jetzt nicht und auch später nicht. Ich trage dich in mir, das weißt du. Ich habe es vor dir ja nicht verbergen können, nicht wahr?«
    »So ein Andenken«, beharrte sie, »ist manchmal ein ganz besonderes Stück Wirklichkeit. Man kann es in der Hand halten, man kann es ansehen. Und wenn man es ansieht, erinnert man sich an all die Dinge, die man sonst vielleicht vergißt. Bitte, nehmen Sie es, Pater.« »Mein Name ist Ralph«, murmelte er unwillkürlich. Und dann nahm er aus dem kofferartigen Behältnis das große Meßbuch, sein Eigentum, kostbar eingebunden und mit Perlmutt verziert. Es handelte sich um ein Geschenk seines inzwischen verstorbenen Vaters zur Priesterweihe, vor nunmehr dreizehn Jahren. Die Seiten öffneten sich an einer Stelle, wo zur Kennzeichnung ein dickes weißes Band lag. Er blätterte einige Seiten weiter, legte die Rose hinein, klappte das Buch zu. »Du möchtest auch ein Andenken von mir, Meggie, nicht wahr?« »Ja.«
    »Nun, ich werde dir keines geben. Ich will, daß du mich vergißt. Ich will, daß du dich in deiner Welt umsiehst und einen guten Mann findest und ihn heiratest und so viele Kinder hast, wie du nur möchtest. Du bist die geborene Mutter. Du darfst dich nicht an mich klammern, das wäre nicht recht. Ich kann die Kirche nie verlassen, und ich werde - um deinetwillen
    - rückhaltlos aufrichtig zu dir sein. Ich will die Kirche nicht
    verlassen, weil ich dich nicht so liebe, wie dich ein Ehemann lieben wird, verstehst du? Vergiß mich, Meggie.« »Bekomme ich - bekomme ich keinen Abschiedskuß?« Er gab keine Antwort. Rasch schwang er sich in den Sattel, ließ den Wallach im Schritt zum Ausgang gehen und verharrte dort kurz, um sich den Filzhut aufzustülpen, den er sich gleichfalls im »Imperial« geliehen hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde schien es in seinen blauen Augen aufzuleuchten. Dann trieb er sein Pferd hinaus in den Regen und strebte dem Weg zu, der nach Gilly führte. Sie folgte ihm nicht. Im trüben Licht des feuchten Stalls blieb sie stehen und roch das Heu und den Pferdemist. Es erinnerte sie an den Schuppen in Neuseeland und an Frank.
    Dreißig Stunden später betrat Ralph de Bricassart das Zimmer des Apostolischen Legaten. Zum Kuß beugte er sich über den Ring des Erzbischofs, ließ sich dann müde in einen Sessel fallen. Und erst jetzt, als er den Blick aus den dunklen, wie allwissenden Augen des Italieners auf sich fühlte, begriff er, wie sonderbar er wohl aussah und weshalb ihn am Zentralbahnhof so viele Leute angestarrt hatten. Nun, verwundern konnte das kaum. Ohne an sein Gepäck zu denken, das im Pfarrhaus von Gilly doch auf ihn wartete, war er in aller Hast in den Nachtpostzug gestiegen, nur zwei Minuten vor der Abfahrt. Und dann hatte er in dem kalten Zug rund tausend Kilometer zurückgelegt, lediglich mit Hemd, Reithose und Reitstiefeln bekleidet, vom Regen während des Ritts nach Gillanbone noch durchgeweicht. Doch die Kälte, die Nässe, er hatte nichts davon gespürt.
    Mit einem wie bedauernden Lächeln blickte er an sich hinab, sah dann zum Erzbischof.
    »Ich bitte um Entschuldigung, Euer Exzellenz. Aber es ist so vieles geschehen, daß ich einfach nicht daran dachte, wie eigenartig ich wirken mußte.«
    »Entschuldigen Sie sich nicht, Ralph.« Anders als
    Erzbischof Cluny Dark, zog er es vor, seinen Sekretär mit dem Vornamen anzureden. »Ich finde, Sie sehen sehr romantisch aus und zudem - wie soll ich sagen? - sportlich-flott. Allerdings wohl auch recht weltlich.«
    »Sehr weltlich, Euer Exzellenz, fürchte ich. Was das Romantische und Sportlich-Flotte betrifft, so kommt Ihnen das wohl nur so vor, weil Sie nie gesehen haben, daß eine solche Kleidung in Gilly durchaus das Übliche ist.«
    »Mein lieber Ralph, selbst wenn Sie es sich in den Kopf setzten, in Sack und Asche zu gehen - Sie würden es auch dann noch fertigbringen, romantisch und elegant auszusehen! Dieser Reitdreß kleidet Sie ausnehmend gut, gar kein Zweifel. Fast so gut wie eine Soutane. Und ersparen Sie sich die Mühe, mir erklären zu wollen, Sie seien sich dessen nicht

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