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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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so wollte, überhaupt nicht auf die Schönsten des Landes; nicht der leiseste Hauch von Begehrlichkeit oder auch nur von Interesse, selbst wenn er nicht im entferntesten ahnen konnte, daß er unter Beobachtung stand. Natürlich gab es für den Erzbischof Mittel und Wege, diese Aufgabe anderen zu übertragen, ohne daß Ralph davon erfuhr.
    Nach und nach war der Legat zu der Überzeugung gelangt, daß die Triebfeder, die seinen Sekretär im Innersten bewegte, Stolz sein müsse, der Stolz darauf, Priester zu sein, und zudem Ehrgeiz. Beides verstand er sehr gut, denn beides erfüllte ihn selbst. Wie alle großen und gefestigten Institutionen ihrer Art wußte die Kirche guten Gebrauch zu machen von ehrgeizigen Männern. Im übrigen erzählte man sich, Ralph de Bricassart habe diese Clearys, die er angeblich doch so sehr liebte, um ihr rechtmäßiges Erbe gebracht. Traf das wirklich zu, so lohnte es sich gewiß, mit ihm enge Fühlung zu halten. Wie die blauen Augen doch geleuchtet hatten, als er Rom erwähnte! Vielleicht war es an der Zeit, daß er ein neues Manöver versuchte - ein Gambit, um es in der Sprache der Schachspieler auszudrücken.
    Und so rückte er, beiläufig scheinbar und sozusagen nur gesprächshalber, einen Bauern ein Stück vor; doch der Blick unter seinen halbgesenkten Lidern war voll schärfster Aufmerksamkeit. »Während Ihrer Abwesenheit habe ich aus dem Vatikan Neues erfahren, Ralph«, sagte er und schob die Abessinier-Katze Sheba auf seinem Schoß ein winziges Stück zur Seite.
    »Oh?« Ralph sank in seinem Sessel zurück. Offenbar fiel es ihm schwer, die Augen aufzubehalten.
    »Ja, Sie können zu Bett gehen. Aber erst, nachdem Sie meine Neuigkeiten gehört haben. Vor kurzem setzte ich mich ganz persönlich und privat mit dem Heiligen Vater in Verbindung, und heute erhielt ich eine Antwort von meinem Freund Kardinal Monteverdi - ob er wohl ein Nachfahre des großen Renaissance-Komponisten ist? Warum denke ich nur nie daran, ihn zu fragen, wenn ich mit ihm zusammen bin? Oh, Sheba, mußt du dich denn mit den Pfoten immer so festhalten, wenn du zufrieden bist?«
    »Ich höre zu, Euer Exzellenz, ich bin nicht eingeschlafen«, sagte Ralph de Bricassart mit einem Lächeln. »Kein Wunder, daß Sie Katzen so sehr mögen. Sie sind ja selbst eine, spielen zu Ihrem Vergnügen mit Ihrem Opfer.« Er schnippte mit den
    Fingern. »Sheba, laß ihn und komm zu mir! Er ist unfreundlich.« Sofort sprang die Katze vom purpurfarbenen Schoß, lief über den Teppich auf Ralph zu und war dann mit einem kraftvollen Satz auf seinen Knien. Und dort stand sie, wie verzaubert, schwenkte den Schwanz hin und her und nahm all die sonderbaren Gerüche in sich auf, von Pferden, von Schlamm, von manchem mehr. Ralph de Bricassarts blaue Augen lächelten in die braunen des Erzbischofs. Beide Männer hielten ihre Augen halb geschlossen, beide waren voll angespannter Wachsamkeit.
    »Wie, um alles in der Welt, bringen Sie das nur fertig?« wollte Vittorio di Contini-Verchese wissen. »Eine Katze kommt doch nie auf Befehl zu einem Menschen. Sheba jedoch tut es. Sie kommt zu Ihnen, als hätten Sie ihr Baldrian gegeben. Undankbares Tier.« »Ich warte, Euer Exzellenz.«
    »Und dafür, daß ich Sie warten lasse, bestrafen Sie mich, indem Sie mir meine Katze wegnehmen. Nun gut, Sie haben gewonnen, ich gebe mich geschlagen. Verlieren Sie eigentlich nie? Eine interessante Frage, finde ich. Jedenfalls, mein lieber Ralph, kann man Ihnen nur gratulieren. In Zukunft können und werden Sie nämlich Mitra, Tunicella, Dalmatika und Pontifikalring tragen, und die Anrede für Sie wird lauten: >Hochwürdigste Exzellenz, Bischof de Bricassart. <« Der Apostolische Legat stellte mit Genugtuung und Vergnügen fest, daß dies denn doch gehörig Wirkung zeitigte. Weit riß Ralph de Bricassart die blauen Augen auf. Nichts blieb mehr von einem vorsichtig herabgelassenen Visier. Diesmal versuchte er nicht, seine Gefühle zu tarnen, über wahre Empfindungen hinwegzutäuschen. Er strahlte ganz einfach.

4. TEIL 1933-1938
    LUKE
     
     
     
    10
     
     
     
    Es schien kaum glaublich, wie schnell sich das Land wieder erholte. Schon nach einer Woche sproß das erste Grün des Grases aus dem klebrigen Morast, und innerhalb von zwei Monaten begannen sich die Bäume zu belauben, die vom Feuer gerösteten Bäume, in denen dennoch nach wie vor Leben war. Allerdings längst nicht in allen. Wenn die Menschen hier immer wieder Zähigkeit und Widerstandsfähigkeit bewiesen, so

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