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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Zeug zu schlucken. Komisch, irgendwie hatte er es nicht für möglich gehalten, daß Fee je zusammenbrechen werde. Das Mittel wirkte rasch, sie hatte seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen. Bald schlief sie tief und fest.
    Was Meggie betraf, so konnte er damit rechnen, auf dem laufenden zu bleiben. Sie war im Kochhaus bei Mrs. Smith und half dort mit. Die Cleary-Söhne lagen alle im Bett. Sie waren so erschöpft gewesen, daß sie sich kaum selbst aus ihren nassen Sachen schälen konnten. Minnie und Cat würden in ihrer Totenwache - die der Sitte nach erforderlich war, weil die Leichen in einem öden, ungesegneten Raum lagen - von Gareth Davies und seinem Sohn Enoch abgelöst werden. Später folgten dann andere. Das war inzwischen alles abgesprochen.
    Von den jüngeren Männern fand sich keiner im Speisezimmer. Unwiderstehlich zog es sie alle zum Kochhaus
    - angeblich, um Mrs. Smith zu helfen, in Wirklichkeit, um Meggie zu beäugen. Als Ralph de Bricassart das begriff, fühlte er sich ebenso befremdet wie erleichtert, ja erlöst.
    So ist es richtig, dachte er, natürlich ist es so richtig. Unter ihnen wird Meggie sich ihren zukünftigen Ehemann aussuchen, das kann und soll gar nicht anders sein.
    Da war Enoch Davies, neunundzwanzig, ein sogenannter »schwarzer Waliser«, was nichts anderes hieß, als daß er sehr dunkles Haar und sehr dunkle Augen hatte, ein gutaussehender Mann. Da war Liam O’Rourke, sechsundzwanzig, und genauso strohblond und blauäugig wie sein fünfundzwanzigjähriger
    Bruder Rory. Da war Connor Carmichael, bereits zweiunddreißig und seiner Schwester wie aus dem Gesicht geschnitten, von geradezu blendendem Aussehen, allerdings ziemlich arrogant. Doch für den geeignetsten Kandidaten hielt Ralph de Bricassart des alten Angus Enkelsohn Alastair. Mit seinen vierundzwanzig Jahren stand er Meggie dem Alter nach am nächsten, und er war ein ganz reizender junger Mensch, besaß die schönen blauen schottischen Augen seines Großvaters und hatte bereits graues Haar, ein Familienerbe.
    Mochte sie sich doch in einen dieser jungen Männer verlieben und ihn heiraten und mit ihm die Kinder haben, die sie sich so wünschte. O Gott, mein Gott, wenn Du das für mich tun willst, dann will ich mit Freuden den Schmerz meiner Liebe zu ihr tragen, mit Freuden ...
    Die Särge hier waren nicht unter Blumen begraben wie damals der Sarg von Mary Carson. Im Gegenteil, in der Kapelle waren sämtliche Vasen leer. Was die furchtbare Hitze des Feuers zwei Nächte zuvor noch übriggelassen haben mochte, war anschließend dem Regen zum Opfer gefallen. Keine einzige frühe Rose sah man, nicht einmal einen Stiel vom Lampenputzerbaum.
    Alle waren so müde, so entsetzlich müde. Jene, die endlose Kilometer durch den Schlamm geritten waren, um Paddy und Stu die letzte Ehre zu erweisen - nur Männer, denn für Frauen wäre die Strapaze einfach zu groß gewesen -, fühlten sich erschöpft. Nicht anders erging es jenen, welche die Toten nach Hause gebracht hatten. Und erschöpft waren auch alle, die sich so lange abplacken mußten mit Kochen und Saubermachen und anderem mehr. Ralph de Bricassart war so todmüde, daß er das Gefühl hatte, im Traum umherzuwandeln. Sein Blick glitt über die Gesichter der Clearys. Da war Fee, Trauer und Trostlosigkeit in den Zügen. Da war Meggie, gleichfalls Trauer, aber ein Ausdruck von - Zorn? Da waren ihre Brüder, tief niedergeschlagen, sie alle ... Er überließ es mit voller
    Absicht Martin King, eine Gedenkrede zu halten. King faßte sich sehr kurz, fand jedoch bewegende Worte. Danach begann der Geistliche sofort mit der Totenmesse. Er hatte, ganz selbstverständlich, all das bei sich gehabt, ohne das ein Priester nie reiste, darunter auch Kelch und Stola, doch wäre er ohne die entsprechenden Meßgewänder gewesen, hätte der alte Angus nicht daran gedacht, sie aus dem Pfarrhaus in Gilly mitzubringen. Und so stand er also, richtig gewandet, während der Regen gegen die Fenster peitschte.
    Und dann ging es hinaus, hinaus in den Regen, der mitzutrauern schien, und über den Rasen, den die Hitze braungesengt hatte. Die Sargträger drohten im Schlamm auszugleiten und hinzuschlagen; bei dem prasselnden Regen sahen sie kaum, wohin sie traten. Doch dann war man auf dem Friedhof, wo die Glöckchen auf dem Grab des chinesischen Kochs traurig bimmelten: Hee Sing, Hee Sing. Es endete. Es war vorbei. Die Trauergäste schwangen sich auf ihre Pferde, den Rücken tief unter die schützenden Ölhäute

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