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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Tiefe der Dimension, die wirklicher war als die wirkliche Zeit. Er wollte Meggie zu einem Teil von sich machen, zu einem tatsächlichen Bestandteil, der mehr war, viel mehr, als das in irgendeiner Form der Symbiose je der Fall sein konnte. Und war sie nicht, ihm bislang eher unbewußt, ein Teil der Schöpfung, an dem er in einem gewissen Sinn mitgewirkt hatte? Sie schien einem Traum zu gleichen, aus dem er nie wieder aufwachen würde, jedenfalls nicht, solange er ein Mann war mit dem Körper eines Mannes. O Gott! Lieber Gott! Ich weiß es, ja, jetzt weiß ich es! Ich weiß, weshalb ich so starr daran festhielt, in ihr nichts als ein Kind, als eine Idee zu sehen, als sie schon längst den Körper einer Frau besaß.
    Denn nun begriff er deutlicher denn je zuvor, daß es nicht sein Ziel war, sich als Mann zu beweisen, ein Mann zu sein. Nein, kein Mann, niemals ein Mann. Um Größeres ging es: um etwas, das weit emporragte über das Schicksal eines gewöhnlichen Mannes, eines durchschnittlichen Menschen.
    Und doch, eben dies war er jetzt: war Mann, nichts als Mann, war ihr Mann. Gott, mein Gott, konntest du mir dies nicht ersparen? Ich bin ein Mann, ein Mensch. Ein Gott kann ich nie sein. Dieses Leben mit seinem Suchen nach Göttlichkeit, nach eigener Göttlichkeit, war Illusion. Sind wir uns alle gleich, wir Priester? Sehnen wir uns alle danach, Gott zu sein? Und ist das der Grund dafür, daß wir jenem Akt abschwören, der uns unwiderruflich zu Männern stempelt?
    Er hielt sie in seinen Armen, betrachtete sie mit einem Blick, der nur noch undeutlich wahrzunehmen schien. Er sah ihren Mund, rosenrote Lippen, die wie hilflos gerundet waren in einem Ausdruck tiefen Behagens, ja tiefer Lust. Ihre Arme und ihre Beine umschlangen ihn, fesselten ihn an ihren Körper wie glatte, seidige Bänder, und in ihm war es wie ein eigentümliches Flackern, tiefe, pechschwarze Dunkelheit in dieser Sekunde, grelles Aufblitzen in der nächsten. Sonne und Finsternis lagen gleichsam im Widerstreit miteinander, und dies war es wohl, was gemeint war mit dem: Ich bin ein Mann. Mehr konnte er nicht sein, nein, mehr nicht. Doch dies war nicht die eigentliche Ursache für den Schmerz. Der Schmerz kam in jenem abschließenden, in jenem allerletzten Augenblick, da die leere, verzweifelte Erkenntnis Oberhand gewann: Die Ekstase schwindet. Der Gedanke, sich von Meggie zu lösen, jetzt, da es sozusagen zu Ende war, er konnte ihn nicht ertragen, und so klammerte er sich an ihr fest wie der Ertrinkende an dem sprichwörtlichen Balken, der ihn über Wasser hält - und war so jenem Schicksal unterworfen, das Menschenschicksal ist.
    Ob er wohl schlief? fragte sich Meggie. Auch sie war müde, doch sie gönnte sich den Schlaf nicht, aus Angst, er könnte verschwunden sein, wenn sie erwachte. Und wenn er dann wach wurde, welche Worte würde sein schöner, so verschwiegen wirkender Mund wohl sprechen? Worte des Bedauerns, der Reue? So viele Jahre hatte er dagegen angekämpft, und jetzt, würde er sagen, würde er denken, daß es dann am Ende nichts als Vergeudung gewesen war - oder vielleicht doch Erfüllung, wenn auch auf andere Art, als er sie sich je erträumt hatte? Noch immer vermochte sie nicht ganz zu glauben, daß dies hier Wahrheit war, daß der Mann, den sie liebte, mit ihr in diesem Bett lag.
    Sie war glücklich, glücklicher, als sie es je in ihrem Leben gewesen war. Von dem Augenblick an, da er sie zurückriß, bevor sie die Verandatür erreichte, hatte sie es gewußt - hatte gewußt, daß zutraf, was sie schon immer ahnte: Sie war für ihn gemacht, eigens für ihn... deshalb habe ich bei Luke auch nie wirklich etwas empfunden, deshalb konnte es zwischen uns auch wohl nichts werden ... Sie hatte versucht, alles zu tun, was eine Frau nur tun konnte, um Ralph glücklich zu machen. Nie sollte er es bereuen, nie. Allerdings hatte es Augenblicke gegeben, in denen sie seinen Schmerz so deutlich spürte, als ob es ihr eigener wäre. Und dennoch schien diese Empfindung etwas zu sein, das beitrug zu ihrem Glück. Er war wach. Sie blickte ihm in die Augen und fand dort in jenem unverwechselbaren Blau dieselbe Liebe, die sie gleichsam von Kind auf begleitet und ihr Wärme gegeben hatte. Und sie entdeckte auch eine große, wie überschattete Müdigkeit, nicht des Körpers, sondern der Seele.
    Er dachte daran, daß er in seinem ganzen Leben noch nie mit einem anderen Menschen im selben Bett aufgewacht war. Irgendwie, so schien ihm, hatte dies einen intimeren

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