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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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als ganz nüchterner, gesunder Menschenverstand, Ralph. Denn besonders klug bin ich überhaupt nicht, das weißt du. Aber sieh dir nur mal meine Brüder an. Ich bezweifle, daß die älteren jemals heiraten oder auch nur Freundinnen haben werden. Sie sind fürchterlich schüchtern, sie haben Angst vor der Macht, die eine Frau vielleicht über sie gewinnen könnte, und sie stehen - in einem gewissen Sinn jedenfalls - ganz und gar unter Mums Fuchtel.«
    Tag folgte Tag, und Nacht folgte Nacht. Selbst die schweren Sommerregen waren schön. Nackt liefen sie umher, ließen sich von ihnen streicheln wie von der Sonne und lauschten ihrem
    Trommeltakt auf dem Wellblechdach. Und wenn dann wieder strahlender Sonnenschein über allem lag, konnten sie am Strand faulenzen oder auch schwimmen. Er unternahm es, ihr das Schwimmen beizubringen. Manchmal beobachtete sie ihn heimlich, versuchte geradezu verzweifelt, sich sein Bild mit alleräußerster Präzision ins Gedächtnis einzuprägen. Denn nur zu gut wußte sie aus Erfahrung, daß die Erinnerung an Frank, trotz aller Liebe, die sie für ihn empfunden hatte, mehr und mehr verblichen war, jedenfalls soweit es Franks Aussehen betraf.
    Da waren die Augen, die Nase, der Mund, die so frappierend wirkenden Silberfäden gleichsam inmitten des schwarzen Haars. Seinen langen, schlanken Körper hatte er sich fest und biegsam erhalten, mit unleugbarer Jugendlichkeit, dennoch um ein weniges fülliger nun, weniger elastisch.
    Mitunter drehte er den Kopf, und es entging ihm dann nicht, daß sie ihn beobachtete. Ein eigentümlicher Ausdruck trat in seine Augen, etwas eigentümlich Gehetztes, fast so, als fühlte er sich verdammt. Sie begriff oder glaubte doch zu begreifen: Er mußte wieder fort, mußte zurück zur Kirche und zu seinen Pflichten. Vielleicht würde er nie wieder in dem gleichen Geist dienen können wie zuvor, dafür jedoch mit einer tiefer begründeten Fähigkeit zu dienen. Denn nur jene, die selbst ausgeglitten und gestürzt sind, können sie kennen, die Wechselfälle des Lebens.
    Als sie eines Abends bei Sonnenuntergang noch am Strand lagen - wie blutübergossen war das Meer, und in dunstigem Gelb schimmerte der Sand -, sagte er zu ihr: »Meggie, ich bin noch nie so glücklich oder so unglücklich gewesen.« »Ich weiß, Ralph.«
    »Ja, das glaube ich. Ist das der Grund, weshalb ich dich liebe? Es ist sonderbar mit dir. Einerseits bist du ganz und gar nicht außergewöhnlich, Meggie, andererseits bist du es doch. Habe ich das schon damals gespürt, vor so vielen Jahren?
    Wahrscheinlich. Meine Leidenschaft für tizianrotes Haar! Nicht im Traum habe ich geahnt, wohin mich das führen würde. Ich liebe dich, Meggie.« »Reist du ab?«
    »Morgen. Ich muß. In weniger als einer Woche geht mein Schiff, nach Genua.« »Genua?«
    »Mein eigentliches Ziel ist natürlich Rom. Und dort werde ich lange, sehr lange bleiben. Vielleicht für den Rest meines Lebens. Ich weiß es nicht.«
    »Keine Sorge, Ralph, ich werde dir den Abschied nicht unnötig schwermachen. Auch meine Zeit hier ist fast vorüber. Ich verlasse Luke, ich kehre nach Drogheda zurück.«
    »Um Himmels willen! Doch nicht etwa meinetwegen. Ich meine, weil wir hier so ... «
    »Nein, natürlich nicht«, log sie. »Ich hatte den Entschluß schon gefaßt, bevor du nach Matlock kamst. Luke will mich nicht und braucht mich nicht, er wird mich nicht im mindesten vermissen. Ich jedoch brauche ein Zuhause, einen Platz, wo ich mich wirklich daheim fühle, und ich bin jetzt davon überzeugt, daß Drogheda für immer dieser Platz sein wird. Es wäre nicht richtig, die arme Justine in einem Haus aufwachsen zu lassen, wo ich Dienstmädchen bin, auch wenn Anne und Luddie in mir keine Bedienstete sehen. Aber ich selbst sehe mich so, und auch Justine würde mich so sehen, wenn sie alt genug ist, um zu begreifen, daß wir auf >Himmelhoch< nicht unser Zuhause haben. In gewisser Weise werde ich ihr das wohl nie bieten können, aber ich muß für sie tun, was ich irgend kann. Und deshalb kehre ich nach Drogheda zurück.« »Ich werde dir schreiben, Meggie.«
    »Nein, tu das nicht. Ich möchte nicht, daß es irgend etwas gibt, das dich vielleicht in Gefahr bringt, und Briefe könnten in die Hände skrupelloser Menschen fallen. Schreibe mir also nicht. Falls du je wieder in Australien bist, kannst du zu Besuch nach Drogheda kommen; das würde völlig normal und natürlich wirken. Allerdings muß ich dich warnen, Ralph. Überlege es dir genau, bevor

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