Die Dornenvögel
Sie sicher sein, daß jeder Skandal vermieden wird, und zwar sowohl für Meggie als auch für Sie.« »Und was ist, wenn Luke auftaucht?«
»Die Möglichkeit können wir ausscheiden. Er ist nach Sydney gefahren und wird erst im März zurückkommen. Daß sich Meggie auf Matlock befindet, konnte er nur durch mich erfahren, und ich habe es ihm nicht gesagt, Euer Exzellenz.« »Erwartet Meggie ihn - Luke, meine ich.«
Anne verzog die Lippen zu einem wie verzerrten Lächeln. »Allmächtiger Gott - nein.«
»Ich werde ihr nichts antun, ich werde ihr nicht schaden«, beharrte er in ebenso sonderbarem Ton wie eigentümlicher Formulierung. »Ich möchte sie nur für eine Weile besuchen, das ist alles.« »Dessen bin ich mir wohl bewußt, Euer Exzellenz«, erwiderte Anne. »Tatsache bleibt allerdings, daß Sie ihr viel weniger schaden würden, wenn Sie ihr viel mehr antun wollten.«
Als Rob Walters Auto die Straße heraufgeschnauft kam, stand Meggie wie gewöhnlich auf der Cottage-Veranda und bedeutete ihm durch Winksignale, daß alles in bester Ordnung sei und sie nichts brauche. Er hielt, um an derselben Stelle zu wenden wie immer. Doch bevor er das tat, sprang ein Mann in Shorts, Hemd und Sandalen aus dem Auto, in der Hand einen Koffer.
»Alles Guuuute, Mr. O’Neill!« rief Rob Walter, als er davonbrauste. O’Neill - Luke O’Neill? Nein! Obwohl die Gestalt dort bei der Entfernung und im einsetzenden Abenddunkel nicht in allem deutlich zu erkennen war, ließ Meggie sich keinen Augenblick täuschen. Wie erstarrt stand sie, während er, Ralph de Bricassart, über die Straße auf sie zuschritt. Also war er zu dem Entschluß gekommen, daß er sie doch wollte! Denn einen anderen Grund konnte es nicht dafür geben, daß er sie hier aufsuchte und sich zu allem auch Luke O’Neill nannte.
Nichts in ihr schien richtig zu reagieren, nicht das Herz, nicht der Verstand, auch nicht die Beine. Weshalb empfand sie nichts, wo er jetzt doch endlich zu ihr kam? Warum lief sie ihm nicht entgegen, um sich in seine Arme zu werfen? Dies war doch Ralph, und er war alles, was sie sich je im Leben und vom Leben wirklich gewünscht hatte. War nicht gerade eine ganze Woche darüber vergangen, daß sie versuchte, in gerade diesem Punkt mit sich ins reine zu kommen -endlich einen Schlußstrich zu ziehen!?
Oh, Gott verdamme ihn, verdamme ihn, verdamme ihn! Warum zum Teufel mußte er wieder auftauchen, wo es ihr doch endlich zu gelingen schien, ihn aus ihren Gedanken zu verdrängen, wenn schon nicht aus ihrem Herzen? Oh, jetzt fing doch alles wieder von vorne an! Erstarrt stand sie, wie ein Stück Holz, und sie spürte die brodelnde Wut in sich.
»Hallo, Ralph«, sagte sie, als er unmittelbar vor der Cottage war. »Hallo, Meggie.«
»Bring deinen Koffer nur herein. Möchtest du eine Tasse warmen Tee?« Während sie sprach, führte sie ihn ins Wohnzimmer. Die ganze Zeit über vermied sie es, ihn anzusehen.
»Das wäre sehr nett«, erwiderte er, und seine Stimme klang genauso steif wie ihre.
Er folgte ihr in die Küche und stand dann und sah zu, während sie einen elektrischen Stecker einstöpselte und aus einem kleinen Warmwasserzubereiter über dem Spülstein Wasser in eine Teekanne füllte. Aus einem Schrank nahm sie Tassen und Untertassen, dann reichte sie ihm eine große Fünfpfunddose mit Arnotts-Biskuits. Er nahm eine Handvoll heraus, tat sie auf einen Teller. Das Wasser kochte, sie hatte inzwischen lose Teeblätter eingefüllt, jetzt mußte der Tee noch einen Augenblick ziehen. Dann trugen beide alles in das Wohnzimmer, Meggie die Teekanne und den Teller mit den
Biskuits, Ralph die Tassen und die Untertassen. Die Cottage hatte zwei Verandas, die unmittelbar ans Wohnzimmer anschlossen. Die eine ging auf die Straße hinaus, die andere auf den Strand: auf zwei entgegengesetzte Seiten also. Und das hieß, daß Meggie und Ralph auf »plausible« Weise in zwei verschiedene Richtungen blicken konnten und einander nicht ansehen mußten. Sehr rasch kam allerdings, wie stets in den Tropen, die völlige Dunkelheit. Durch die weitgeöffneten Schiebetüren drang die Luft, und sie brachte allerlei Geräusche mit sich: das leise klatschende und schmatzende Hin und Her des Wassers in der Lagune, das ferne Brausen der Brandung draußen am Riff, das sanfte Kommen und Gehen des warmen Windes.
Schweigend tranken beide ihren Tee, keiner griff zu einem Biskuit, und es dauerte an, dieses Schweigen, bis sie mit dem Tee fertig waren und er ihr seinen Blick
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