Die Dornenvögel
Schwanz in die Höhe und rannte davon.
Nur ein Paar alte Khaki-Shorts hatte er an, nichts sonst. Seine Haut, von goldbrauner Tönung, wirkte seidig. Der schlanke Körper, noch völlig knabenhaft zwar, zeigte dennoch bereits Anzeichen für die spätere, die männliche Prägung. Die
Schultern besaßen einen unverkennbaren Ansatz zur Breite, die Beinmuskeln waren gut durchgebildet, die Hüften schmal, der Bauch flach. Er hatte verhältnismäßig langes Haar, sehr lockig, mit einem Farbton wie sonnengebleichtes Drogheda-Gras. Die schwarzen, von unglaublich dichten Wimpern umrahmten Augen von sehr intensivem Blau. Er sah aus wie ein junger Engel. »Hallo«, sagte er mit einem Lächeln.
»Hallo«, erwiderte Kardinal de Bricassart und entdeckte, daß er dem Reiz dieses Lächelns nicht widerstehen konnte. »Wer bist du?« »Ich bin Dane O’Neill«, erklärte der Junge. »Und wer sind Sie?« »Mein Name ist Ralph de Bricassart.«
Dane O’Neill. Er war also Meggies Sohn. Sie hatte Luke O’Neill damals offenbar doch nicht verlassen, sondern sich wieder mit ihm ausgesöhnt. Hatte ihm dann diesen bildschönen Knaben geboren, der auch sein, Ralph de Bricassarts, Sohn hätte sein können, wäre er nicht bereits mit der Kirche verheiratet gewesen. Unsinn, Kardinal de Bricassart! unterbrach er seine eigenen Gedanken. Hättest du nämlich nicht die Kirche geheiratet, so wärst du in Irland geblieben, um dort Pferde zu züchten. In anderen Worten: Weder Drogheda noch Meggie Cleary würdest du kennengelernt haben.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte der Junge höflich und erhob sich. Mit einer auffallenden Anmut der Bewegungen, wie der Kardinal fand - nun, das konnte Dane wohl nur von seiner Mutter haben. »Ist dein Vater hier, Dane?«
»Mein Vater?« Die dunklen, feingeschwungenen Augenbrauen zogen sich leicht zusammen. »Nein, er ist nicht hier. Er ist noch nie hier gewesen.«
»Oh, ich verstehe. Ist deine Mutter denn hier?«
»Sie ist in Gilly, wird aber bald zurück sein. Meine Nanna ist jedoch im Haus. Möchten Sie sie sprechen? Ich bringe Sie gern zu ihr.« Die Augen, blau wie Kornblumen, starrten plötzlich überrascht, weiteten sich, verengten sich dann. »Ralph de
Bricassart. Ich habe von Ihnen gehört. Oh! Kardinal de Bricassart! Euer Eminenz, es tut mir leid! Ich wollte nicht unhöflich sein.«
Statt geistlicher Gewänder hatte der Kardinal zwar Stiefel, Reithose und ein weißes Hemd an, doch an der Hand trug er jenen Rubin-Ring, den er niemals ablegen durfte. Dane O’Neill kniete nieder und küßte den Ring ehrfurchtsvoll.
»Ist schon recht, Dane. Ich bin nicht als Kardinal de Bricassart hier, sondern als alter Freund deiner Mutter und deiner Großmutter.« »Es tut mir leid, Euer Eminenz. Ich hätte Ihren Namen sofort erkennen müssen. Er wird hier ja oft genug genannt. Aber Sie sprechen ihn ein wenig anders aus, und dann
- nun, zusammen mit dem Vornamen hat mich das irritiert. Meine Mutter wird sich sehr freuen, Sie zu sehen, das weiß ich.«
»Dane, Dane, wo bist du?« rief eine ungeduldige weibliche Stimme, die überraschend tief klang und etwas von jenem reizvollen Timbre hatte, das man rauchig zu nennen pflegt.
Die tiefhängenden Wedel des Pfefferbaums teilten sich, und ein junges, etwa fünfzehnjähriges Mädchen erschien. Ihre Augen verrieten Ralph de Bricassart sofort, daß sie Meggies Tochter sein mußte. Das eigentümlich scharf geprägte Gesicht mit den pennygroßen Sommersprossen zeigte allerdings enttäuschend wenig Ähnlichkeit mit Meggie.
»Oh, hallo. Tut mir leid. Ich wußte nicht, daß wir einen Besucher haben. Ich bin Justine O’Neill.«
»Jussy, das ist Kardinal de Bricassart!« sagte Dane in lautem Flüsterton. »Küß seinen Ring, rasch!«
In den wie blinden, ausdruckslosen Augen blitzte Verachtung. »Also ich weiß wirklich nicht, Dane, wie du dich immer mit der Religion hast«, sagte sie und gab sich nicht die geringste Mühe, ihre Stimme zu senken. »Einen Ring küssen? Das wäre unhygienisch, das tu’ ich nicht. Und woher wollen wir wissen, daß dies wirklich Kardinal de Bricassart ist? Mir sieht er eher wie einer von diesen altmodischen Viehzüchtern aus.«
»Er ist’s, er ist’s wirklich!« beharrte Dane. »Bitte, Jussy, sei nett! Sei mir zuliebe nett! «
»Na gut, aber nur dir zuliebe. Aber seinen Ring küsse ich nicht, auf gar keinen Fall. Widerlich. Wer weiß, wer ihn vorher geküßt hat.« »Du brauchst meinen Ring nicht zu küssen, Justine. Ich befinde mich jetzt im
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