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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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fünfzigtausend? Wenn er sich’s einfallen ließe, uns morgen von Drogheda zu verjagen, könnten wir’s uns leisten, Bugela zu kaufen, selbst bei den jetzigen inflationären Bodenpreisen. Und wieviel hat er deinen Kindern gegeben? Tausende und aber Tausende. Sei fair in deinem Urteil über ihn.«
    »Nun, meine Kinder wissen nichts davon, und sie sollen auch nie etwas Genaueres erfahren. Ich will, daß sie in dem Bewußtsein aufwachsen, sich ihren Weg in der Welt selbst bahnen zu müssen, ohne die Hilfe des lieben Ralph Raoul Kardinal de Bricassart.
    Sonderbar, daß sein zweiter Vorname Raoul ist! Sehr normannisch, wie?«
    »Und was wirst du tun, wenn er nach Drogheda kommt, Meggie?« fragte Fee unvermittelt.
    »Ach was!« erwiderte Meggie. »Er kommt doch nie!« »Wer weiß«, sagte Fee.
    Und sie behielt recht. Er kam. Im Dezember. In einem
    Aston-Martin-Sportwagen fuhr er die ganze weite Strecke von Sydney bis nach Drogheda. Die Presse hatte nicht erfahren, daß er sich in Australien befand, und so ahnte auch niemand auf der Station, daß man ihn erwarten mußte. Als das Auto in den kiesbestreuten Anfahrtsweg vor dem Haus einbog, war niemand in der Nähe. Offenbar hatte man ihn auch nicht kommen hören, denn kein Mensch erschien.
    Spätestens von Gillanbone an hatte er gleichsam mit jeder Zelle seines Körpers seine Umgebung in sich aufgenommen: den Busch, die Schafe, das trockene, wie ruhelos in der Sonne flimmernde Gras und die vielen Gerüche. Känguruhs und Emus, Galahs und Goannas, Millionen Insekten, Fliegen und Bienen und Ameisen und unendlich viel mehr. Er liebte, was er sah, nicht zuletzt deshalb, weil sich darin zeigte, was er in allen Dingen liebte. Die verstrichenen Jahre schienen dies kaum zu beeinträchtigen.
    Das große Haus wirkte völlig unverändert bis auf die sogenannten Fliegenfenster. Aber Fee hatte, wie Ralph de Bricassart nicht ohne eine gewisse Belustigung bemerkte, offenbar sehr strikt darauf geachtet, daß die schöne georgianische Fassade so gut wie unangetastet blieb. Nun ja, es wäre auch wirklich bedauerlich gewesen. Wie lange lebte der Geister-Eukalyptus eigentlich schon? Diese Bäume hier mußten vor etwa achtzig Jahren vom sogenannten Toten Herzen des Landesinneren hierher verpflanzt worden sein. Die Bougainvillaea in den Ästen ganz oben glich einer gleitenden Masse aus Kupfer und Purpur.
    Es war bereits Sommer, zwei Wochen noch bis Weihnachten, und die Drogheda-Rosen standen in voller Blüte. Rosen allüberall, weiße Rosen und gelbe Rosen und Rosen in so unendlich vielen Schattierungen von Rot, hellem Rot, Herzblutrot, auch Kardinalsrockrot. Ja, allüberall waren sie, die Rosen: zwischen den Wistarien und auf dem Verandadach und um die Fensterläden im ersten Stock und auch um die
    Wassertanks und die Gestelle, auf denen sich diese befanden. So dicht wucherte es dort, daß man von Tanks und Gestellen praktisch nichts sah. Im übrigen schien, wie er jetzt bemerkte, überall ein ganz bestimmter Farbton zu dominieren, ein fahles Rötlich-Grau. Asche der Rosen? Ja, das war der Name dieser Farbe. Offenbar hatte Meggie diese Rosen angepflanzt. Ja, Meggie mußte es gewesen sein. Er hörte ihr Lachen, Meggies Lachen, und stand völlig bewegungslos, wie vor Schrecken erstarrt. Dann zwang er seine Füße, in die Richtung zu gehen, aus der dieses Lachen kam. Inzwischen hatte es sich gewandelt, war zu einem Kichern geworden, das gleichsam aus verzückten Trillern bestand. Genauso hatte Meggie als kleines Mädchen gelacht. Von dorther kam es, dort erklang es! Da drüben hinter rötlich-grauen Rosen dicht bei einem Pfefferbaum. Er schob Blüten und Zweige mit der Hand beiseite und empfand ein leichtes Taumelgefühl, weil alles so betäubend auf ihn eindrang, der Duft - und das Lachen.
    Aber Meggie war gar nicht da, nur ein Junge, der im üppigen Rasen kauerte und seine Scherze trieb mit einem rosigen kleinen Schweinchen, das auf ihn zurannte, wieder davongaloppierte und überhaupt allerlei verrückte Kapriolen zeigte. Der Junge warf seinen Kopf mit dem hellen Haarschopf in den Nacken und lachte. Meggies Lachen war es. Ja, ihr Lachen, nur aus einer anderen Kehle. Kardinal de Bricassart vergaß die Rosen. Er ließ das Gezweig, das er mit der Hand zurückgebogen hatte, ganz automatisch los, trat gleichzeitig jedoch hindurch, ohne auf irgendwelche Dornen zu achten. Der Junge, der zwischen zwölf und vierzehn Jahre alt sein mußte, blickte überrascht auf, und das Schwein quiekte, krümmte den

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