Die Dornenvögel
du seist jetzt auf der Boarding School«, sagte er mit einem Lächeln. »Nicht im Dezember, Euer Eminenz. Wir haben zwei Monate frei - Sommerferien.«
Ja, er war zu lange fort gewesen von hier. Er hatte ganz einfach vergessen, daß in der südlichen Hemisphäre die Kinder ihre Großen Ferien im Dezember und im Januar hatten.
»Werden Sie lange hierbleiben, Euer Eminenz?« fragte Dane, nach wie vor fasziniert.
»Seine Eminenz wird so lange bei uns bleiben, wie es ihm möglich ist, Dane«, sagte seine Großmutter. »Allerdings fürchte ich, daß es ihm lästig werden wird, ununterbrochen mit Euer Eminenz angeredet zu werden. Also, worauf wollen wir uns einigen? Onkel Ralph?« »Onkel!« rief Justine. »Du weißt doch, daß >Onkel< gegen alle Familientradition wäre, Nanna! Unsere Onkel sind Bob, Jack, Hughie, Jims und Patsy und sonst niemand. Und so ist er also ganz einfach Ralph.«
»Sei nicht so unhöflich, Justine! Wo, um alles auf der Welt, bleiben deine guten Manieren?« fragte Fee.
»Nein, nein, Fee, ist schon recht. Es ist mir wirklich lieber, wenn man mich ganz einfach Ralph nennt«, sagte der Kardinal rasch. Was hatte sie nur gegen ihn, dieses sonderbare junge Ding? »Das könnte ich nicht!« rief Dane fast bestürzt. »Ich könnte Sie doch nicht einfach Ralph nennen!«
Der Kardinal trat auf ihn zu, und er nahm die nackten Schultern zwischen seine beiden Hände. Freundlich lächelte er den Jungen an, und seine blauen Augen schienen im schattigen Raum zu leuchten. »Natürlich kannst du, Dane. Es ist doch keine Sünde.« »Komm, Dane, gehen wir wieder zum Pfefferbaum«, sagte Justine, und es klang wie ein Befehl.
Der Kardinal und sein Sohn reagierten auf genau die gleiche Weise. Beide blickten wie hilfesuchend zu Fee.
»Allmächtiger Himmel!« sagte Fee. »Nun, Dane, es wird wohl das beste sein, du gehst nach draußen und spielst.« Sie klatschte die Hände ineinander. »Lauf schon.« Der Junge verschwand, und Fee, an ihrem Schreibtisch, schien nicht recht zu wissen, was sie jetzt zu Ralph de Bricassart sagen sollte. Offenbar drängte es sie wieder zu ihrer gewohnten Beschäftigung, der Buchführung. Der Kardinal unterdrückte ein leises Lächeln. Sie möge ihn entschuldigen, erklärte er, denn er müsse jetzt ganz unbedingt zum Kochhaus.
Wie sehr hier doch alles beim alten geblieben ist, dachte er, als er hinüberging. Noch immer kein elektrisches Licht, noch immer der Geruch nach Bienenwachs, noch immer die großen Vasen voller Rosen.
Bei Mrs. Smith und Minnie und Cat blieb er ziemlich lange. Alt geworden waren sie inzwischen alle, und doch »stand« ihnen das Alter viel besser als Fee. Woran lag es? Nun, offenbar fühlten sie sich glücklich, wirklich fast völlig glücklich. Arme Fee! Denn sie war nicht glücklich. Er konnte es nun kaum noch erwarten, Meggie wiederzusehen. Ob sie wohl glücklich war?
Als er das Kochhaus verließ, war sie immer noch nicht von Gillanbone zurückgekehrt. Und so machte er einen Spaziergang zum Creek, dann zum Friedhof. Wie still es hier doch war, so ruhe- und friedvoll. An der Wand des Mausoleums befanden sich sechs Bronzeschilder, genau wie vor Jahren. Er mußte unbedingt Vorsorge treffen, daß man auch ihn hier einmal bestattete. Wenn er wieder in Rom war, würde er entsprechende Anweisungen geben. In der Nähe des Mausoleums sah er zwei neue Gräber. In dem einen war Tom, der alte Gärtner, zur letzten Ruhe gebettet, im anderen die Frau eines der Viehtreiber, der seit 1946 auf Drogheda gearbeitet hatte, ein einsamer Rekord. Mrs. Smith glaubte, er arbeite immer noch hier, weil ja seine Frau hier begraben lag. Der Regenschirm auf dem Grab des chinesischen Kochs war nach all den Jahren unter glühender Sonne arg verblichen. Vom ursprünglichen kaiserlichen Rot hatte sich die Farbe über viele Zwischenstufen hinweg verändert bis zum jetzigen WeißlichRosa, nahezu die Asche der Rosen. Meggie, Meggie. Nach Matlock, nach mir, bist du wieder zu ihm zurückgekehrt und hast ihm einen Sohn geboren.
Es war sehr heiß. Ein wenig Wind strich herbei, bewegte sacht die Äste der Trauerweiden am Creek, ließ die Glöckchen am Schirm des chinesischen Kochs in ihrer kleinen klagenden Weise erklingen: Hee Sing, Hee Sing, Hee Sing. »Tankstand-
Charlie, er war ein guter Kerl.« Auch diese Inschrift auf dem Kreuz war verblichen, und zwar so stark, daß sie praktisch nicht mehr zu entziffern war. Doch so sollte es ja auch sein. Friedhöfe, Gebeinstätten sollten zurücksinken in den
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