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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Urlaub. Im Augenblick bin ich kein Kardinal.« »Nun, dann ist es gut. Ich will Ihnen nämlich ganz offen sagen, daß ich Atheistin bin«, erklärte Justine sehr ruhig und mit großem Ernst. »Nach vier Jahren in Kincoppal finde ich, daß das alles völlig ungereimter Unfug ist.«
    »Das steht dir natürlich frei«, erwiderte Kardinal de Bricassart und gab sich verzweifelt Mühe, möglichst nicht weniger Würde an den Tag zu legen als sie. »Dürfte ich jetzt zu eurer Großmutter gehen?« »Natürlich. Brauchen Sie uns?« fragte Justine. »Nein, danke. Ich kenne mich hier ja aus.«
    »Gut.« Sie wandte sich ihrem Bruder zu, der seinen Blick noch immer nicht von dem Besucher löste. »Komm, Dane, hilf mir. Komm schon!«
    Justine zerrte an seinem Arm, doch er ließ sich nicht beirren. Er sah der hohen, sehr aufrechten Gestalt nach, bis sie hinter den Rosen verschwand.
    »Du bist wirklich komisch, Dane. Was ist denn so Besonderes an ihm?«
    »Er ist Kardinal!« sagte Dane. »Denk doch nur! Ein richtiger Kardinal hier auf Drogheda!«
    »Kardinale«, erklärte Justine, »sind Kirchenfürsten. Vielleicht hast du recht, das ist schon ziemlich ungewöhnlich. Aber er gefällt mir nicht.«
    Ralph de Bricassart glaubte zu wissen, wo er Fee finden würde. An ihrem Schreibtisch natürlich. Er trat durch eine der Türen ein, die von draußen direkt in den Salon führten. Es knarrte leise. Hörte Fee das nicht? Jedenfalls drehte sie sich nicht herum, sondern arbeitete weiter. Er sah, daß das einst so schöne Blondhaar jetzt silbergrau war mit gelblichen Strähnen darin. Und nicht ohne Mühe machte er es sich bewußt: Sie mußte inzwischen zweiundsiebzig sein. »Hallo, Fee«, sagte er.
    Als sie ihm ihr Gesicht zuwandte, gewahrte er sofort die Veränderung in ihren Zügen, die Wandlung. Doch worin sie eigentlich bestand, vermochte er nicht genau zu sagen. Wie früher fand sich darin jener unverkennbare Ausdruck von Gleichgültigkeit und noch manches andere, das für Fee charakteristisch schien. Aber vielleicht ließ sich sagen, daß sich in der Wandlung zu gleicher Zeit etwas Unvereinbares vollzogen hatte. Die Gesichtszüge wirkten jetzt härter und weicher. Ja, das war es wohl. Einerseits erschienen sie menschlicher, andererseits erinnerte die Ausprägung dieser Menschlichkeit bestürzend an Mary Carson.
    Guter Gott, diese Drogheda-Matriarchen! dachte er. »Hallo, Ralph«, sagte sie und schien über sein unvermutetes Auftauchen gar nicht so sehr überrascht. »Schön, Sie wiederzusehen.« »Ich freue mich auch darüber, Fee.« »Ich wußte gar nicht, daß Sie in Australien sind.« »Das weiß niemand. Ich habe einige Wochen Urlaub.« »Sie werden bei uns wohnen, hoffe ich?«
    »Wo sonst?« Er ließ seine Augen über die prachtvollen Wände gleiten, betrachtete dann das Porträt von Mary Carson. »Wissen Sie, Fee, Sie besitzen einen makellosen und unfehlbaren Geschmack. Dieser Raum kann es mit jedem Gemach im Vatikan aufnehmen. Diese schwarzen, eiförmigen Gebilde mit den Rosen sind schon so etwas wie ein Genieeinfall.«
    »Oh, danke! Wir versuchen unser Bestes. Ich persönlich gebe allerdings dem Speiseraum den Vorzug. Ich habe ihn seit damals ganz neu gemacht und in Rosa und Weiß und Grün gehalten. Klingt grauenvoll, aber warten Sie nur, bis Sie ihn sehen. Eigentlich weiß ich gar nicht, weshalb ich mir all die Mühe mache. Es ist doch Ihr Haus, nicht wahr?«
    »Nicht, solange noch ein Cleary lebt, Fee«, sagte er ruhig. »Wie tröstlich. Nun, seit Ihrer Zeit in Gilly sind Sie in der Welt ja um so manche Sprosse hinaufgeklommen, nicht wahr? Haben Sie den >Herald<-Artikel über Ihre Ernennung gelesen?« Er zuckte kaum merklich zusammen. »Ja, das habe ich. Ihre Zunge ist schärfer geworden, Fee.«
    »Ja, ich weiß. Doch vor allem: es bereitet mir Vergnügen. Wenn ich an die vielen Jahre denke, in denen ich den Mund praktisch überhaupt nicht aufmachte! Ich wußte damals nicht, was ich mir entgehen ließ.« Sie lächelte. »Meggie ist in Gilly. Sie wird bald zurück sein.«
    Dane und Justine kamen in den Salon. »Nanna, dürfen wir zum Artesischen Brunnen reiten?« »Ihr kennt die Regeln. Wenn ihr reiten wollt, müßt ihr die Erlaubnis dazu bei eurer Mutter einholen. Tut mir leid, aber das ist ihre ausdrückliche Anweisung. Wo sind eure Manieren? Kommt und stellt euch unserem Besucher vor.«
    »Wir haben uns bereits kennengelernt«, sagte Ralph de Bricassart. »Oh.«
    Der Kardinal blickte zu Dane. »Ich hätte eigentlich gedacht,

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