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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Schoß der Mutter Erde, bis alle irdischen Überreste dahinschwanden unter den Gezeiten der Zeit und nur noch die Luft sich der einstigen Erdenbewohner erinnerte. Nein, er wollte nicht irgendwo im Vatikan begraben werden, sondern hier zwischen Menschen, die wirklich gelebt hatten.
    Er drehte sich herum, sah den Marmorengel, hob unwillkürlich die Hand zum Gruß. Und dann blickte er über den Rasen hinweg in Richtung großes Haus und sah sie kommen. Sehr schlank sah sie aus, eine gleichsam goldene Gestalt. Genau wie er selbst hatte sie Stiefel sowie eine Reithose und ein weißes Männerhemd an, und auf dem Kopf, eigentlich mehr auf dem Hinterkopf, trug sie einen grauen Männerfilzhut. Wie ein Junge sah sie aus, wie ihr Sohn, der eigentlich auch sein Sohn hätte sein sollen.
    Sie kam näher, trat über den niedrigen weißen Zaun hinweg und stand dann ganz dicht bei ihm, so dicht, daß er nur noch ihre Augen sehen konnte, jene grauen, lichterfüllten Augen, die nichts verloren hatten von ihrer Schönheit oder von ihrem Zauber für sein Herz. Sie hatte ihre Arme um seinen Hals geschlungen, und es war, als wäre er nicht für einen Tag getrennt gewesen von ihr. Unter seinem Mund spürte er ihre warmen, lebendigen Lippen, und es war kein Traum, so lange ersehnt, jetzt Wirklichkeit, eine andere Art Sakrament, dunkel wie der Mutterboden der Erde, fern vom Himmel. »Meggie, Meggie«, sagte er und hielt sie in den Armen. Ihr grauer Männerfilzhut lag irgendwo im Gras.
    »Im Grunde scheint sich nie etwas zu ändern, nicht wahr?« sagte sie mit geschlossenen Augen.
    »Nein, nie«, erwiderte er; und glaubte es, in diesem Augenblick. »Dies ist Drogheda, Ralph. Ich habe dich gewarnt.
    Auf Drogheda gehörst du mir und nicht Gott.«
    »Ich weiß, ich erinnere mich. Ich bin dennoch gekommen.« Er ließ sich aufs Gras gleiten, zog sie mit sich. »Warum, Meggie?« »Warum was?« Ihre Hand strich über sein Haar, das jetzt weißer war als das von Fee, doch immer noch sehr dicht, immer noch sehr schön. »Warum bist du zu Luke zurückgekehrt? Und hast ihm einen Sohn geboren?« fragte er mit kaum verhohlener Eifersucht. Sie sah ihn an, und ihre grauen Augen waren wie Fenster, offen und verhangen zugleich. »Er hat mich gezwungen«, sagte sie. »Aber es war nur einmal, und es tut mir auch nicht leid. Denn ich bekam Dane, und Dane war das alles wert.«
    »Entschuldige, ich hatte kein Recht, dich zu fragen. Denn schließlich - schließlich bin ich es ja gewesen, der dich Luke sozusagen gegeben hat, nicht wahr?«
    »Ja, das ist wahr, das hast du getan.« »Dane ist ein prachtvoller Junge. Sieht er Luke ähnlich?« Sie lächelte. Wortlos zupfte sie zwei oder drei Grashalme, schob ihm dann, wie vor so vielen Jahren, die Hand unter das Hemd, auf die nackte Brust. »Nicht direkt. Keines meiner Kinder sieht Luke oder mir sehr ähnlich.«
    »Ich liebe sie, weil sie deine Kinder sind.«
    »Du bist genauso sentimental wie eh und je. Und die fortschreitenden Jahre, Ralph, sie kleiden dich. Ja, so kann man es sagen, und ich habe es schon immer gewußt. Seit dreißig Jahren kenne ich dich! Es scheinen nur dreißig Tage zu sein.«
    »Dreißig Jahre? So lange ist das schon her?«
    »Ich bin einundvierzig, Liebster, also muß es schon so lange her sein.« Sie erhob sich. »Ich bin ganz offiziell hergeschickt worden, um dich ins Haus zu holen. Mrs. Smith wird dir zu Ehren einen ganz besonders guten Tee kredenzen, und später, wenn’s etwas kühler ist, gibt es Schweinebraten mit knuspriger Kruste.« Sie schritten Seite an Seite einher, sehr langsam.
    »Dein Sohn lacht genau wie du, Meggie. Sein Lachen, das waren die ersten menschlichen Laute, die ich auf Drogheda hörte. Ich war überzeugt, das könntest nur du sein. Aber statt deiner fand ich dann ihn.« »Er war also der erste, dem du auf Drogheda begegnet bist?« »Ja, ich glaube schon.«
    »Wie gefällt er dir, Ralph?« fragte sie begierig. »Er gefällt mir sehr. Nun, das versteht sich von selbst, da er dein Sohn ist. Allerdings fühle ich mich von ihm weit stärker angezogen als von deiner Tochter. Sie mag mich übrigens auch nicht besonders.«
    »Nun ja, Justine ist zwar meine Tochter, aber sie ist auch ein richtiges Ekel. Wenn ich in meinem Alter noch Fluchen gelernt habe, dann nicht zuletzt durch sie. Und ein bißchen deinetwegen. Und ein bißchen Lukes wegen. Und dann war da auch noch der Krieg. Nun ja, da kommt schon einiges zusammen.« »Du hast dich sehr verändert, Meggie.«
    »Wirklich?«

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