Die Dornenvögel
Sydney auf die Schule geschickt. Dane, wie es die Tradition verlangte, nach Riverview, und Justine nach Kincoppal. Meggie brachte beide zum Flugzeug, sah ihre blassen kleinen Gesichter und wäre am liebsten mitgeflogen. Schließlich gingen ihre Kinder zum ersten Mal im Leben fort von Drogheda und von Gillanbone. Die Familie, von Fee über Bob bis Jims und Patsy, war einhellig der Meinung gewesen, es sei für die Kinder besser, auf sich selbst gestellt zu sein. »Verweichliche sie nicht«, hatte Fee streng gesagt. Doch als die DC-3 in einer Wolke von Staub vom Boden abhob und emporstrebte in die flimmernde Luft, fühlte Meggie sich eigentümlich zerrissen. Der Gedanke, Dane zu verlieren, brach ihr fast das Herz. Von Justine trennte sie sich relativ leicht.
Dane gegenüber waren ihre Gefühle klar und eindeutig. Ihn mußte man einfach lieben, und er akzeptierte diese Liebe so selbstverständlich, wie er, wenn man es so nennen wollte, die Atemluft akzeptierte. Justine ihrerseits war ein ebenso liebenswertes wie abscheuliches Ungeheuer. Ja, es gab so manches an ihr, was man nicht nur lieben konnte, sondern lieben mußte: ihre Charakter- und Willensstärke, ihre erstaunliche Selbständigkeit. Doch eben das war es dann auch. Justine schien einfach zu selbständig zu sein, um sich so lieben zu lassen wie Dane, und nie gab sie Meggie das schöne Gefühl, daß sie sie brauchte. So mancher ihrer Charakterzüge erinnerte an Luke. Zumindest war sie nicht geizig, und dafür konnte man immerhin dankbar sein.
Mit dem Flugzeug konnten die Kinder in den Ferien, selbst in den kürzesten, stets rasch nach Gillanbone und dann nach Drogheda kommen. Sehr bald jedoch hatten sie sich an ihr neues Leben in den Schulen gewöhnt. Dane empfand stets Heimweh, wenn er auf Drogheda gewesen war. Bei Justine hingegen verhielt es sich umgekehrt. Sydney schien für sie genau das richtige Pflaster zu sein, und wenn sie sich auf Drogheda befand, sehnte sie sich in die Stadt zurück.
Die Jesuiten im Riverview-College zeigten sich von Dane entzückt. Er erwies sich als hervorragender Schüler, und zwar sowohl im Klassenzimmer als auch auf dem Sportplatz. Die Nonnen von Kincoppal hingegen waren weit entfernt von solcher Begeisterung. Wer scharfe Augen und eine so scharfe Zunge besaß wie Justine, konnte kaum hoffen, besonders beliebt zu sein. Ihrem Bruder um ein Schuljahr voraus, war sie in ihren Leistungen wahrscheinlich besser als dieser, allerdings
nur im Klassenzimmer.
Die Ausgabe des »Sydney Morning Herald« vom 4. August 1952 war von Interesse. Selten fand sich auf der großen Vorderseite mehr als eine Fotografie und daneben die aktuelle Story vom Tage. An diesem Tag zeigte das Bild das eindrucksvolle Porträt von Ralph de Bricassart. Der Text lautete:
»Seine Exzellenz Erzbischof Ralph de Bricassart, gegenwärtig enger Vertrauter des Staatssekretärs des Heiligen Stuhls in Rom, wurde heute von Seiner Heiligkeit, Papst Pius XII., zum Kardinal ernannt. Ralph Raoul Kardinal de Bricassart kann auf ein langjähriges und sehr erfolgreiches Wirken für die Katholische Kirche in Australien zurückblicken. Dieses Wirken begann mit seiner Ankunft als gerade geweihter Priester im Juli 1919, und es endete mit seiner Abreise zum Vatikan im März 1938.
Kardinal de Bricassart kam am 23. September 1893 in der Republik Irland zur Welt, als zweiter Sohn einer Familie, deren Stammvater Baron Ranulf de Bricassart war, ein Adliger aus dem Gefolge von Wilhelm dem Eroberer. Zu den Traditionen dieser Familie gehörte es, daß in der Regel jeweils der Zweitälteste Sohn in den Dienst der Kirche trat. So kam Ralph de Bricassart mit siebzehn Jahren aufs Seminar. Nach seiner Priesterweihe schickte man ihn nach Australien, und die ersten Monate hier verbrachte er in der Diözese Winnemurra, im Dienst des inzwischen verstorbenen Bischofs Michael Clabby.
Im Juni 1920 wurde er als Gemeindepfarrer nach Gillanbone im nordwestlichen Neusüdwales versetzt. Dort blieb er bis zum Dezember 1928. Danach diente er zunächst bei Seiner Exzellenz Erzbischof Cluny Dark als Privatsekretär und anschließend, in gleicher Funktion, bei dem damaligen Apostolischen Legaten und Erzbischof, dem jetzigen Kardinal di Contini-Verchese. In dieser Zeit erhielt Ralph de Bricassart den Rang eines Bischofs. Als Kardinal di Contini-Verchese nach Rom ging, um im Vatikan seine bemerkenswerte Karriere fortzusetzen, wurde Ralph de Bricassart, als Erzbischof, sein Nachfolger als Apostolischer Legat in
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