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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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ihn wieder von sich fort. Wie ätzend drangen Staubkörner in Augen und Ohren und Mund. Jetzt dachte man nicht mehr daran, dies mit dem Zorn des alttestamentarischen Gottes zu vergleichen. Dies war der Zorn Jehovas, den man durchlebte. Der Donner, immer näher nun, dröhnte mit einer so ungeheuren Gewalt, daß man glauben konnte, die Erde werde zerspalten. Und doch, nach einer Weile gewöhnten sich die Clearys, alle im Haus versammelt, ein wenig daran, zumindest faßten sie genügend Mut, sich auf die Veranda zu wagen und, über den Creek hinweg, zu den fernen Koppeln zu spähen. Vielfach gezackt zuckten Blitze herab, standen als mannigfaltig verästeltes Aderwerk für Sekundenbruchteile am Himmel, oder eher: schienen auf eine absurde und phantastische Weise Verstecken zu spielen, vor, über, hinter und zwischen Wolken und Wolkenballen.
    Ein unheimliches, unirdisches Glühen breitete sich in der Luft aus, und diese Luft war nicht länger unsichtbar. Sie brannte, brannte von innen her in einem Feuer, das ein lichtes Rot und Lila und ein schwefliges Gelb war und einen eigentümlichen Duft zu verströmen schien, eine Art flüchtiges, nicht näher zu definierendes Parfüm. Die Bäume flimmerten, das rote Haar der Clearys war umkränzt von Feuerzungen, und auf ihren Armen standen überall steif die Härchen hoch.
    Den ganzen Nachmittag über hielt das Schauspiel an, und erst gegen Sonnenuntergang verblich alles mehr und mehr, und zwar zunächst in östlicher Richtung. Sie waren gleichsam entlassen aus dem furchtbaren Bann, doch sie blieben erregt, gereizt, unbeschwichtigt. Kein einziger Tropfen Regen war gefallen. Dennoch erfüllte sie das Gefühl, gestorben zu sein, um wiedergeboren zu werden. Sie lebten, ja, sie lebten. Sie hatten diesen sonderbaren Koller der Atmosphäre, des Klimas heil überstanden. Die ganze folgende Woche sprachen sie von nichts anderem.
    »Wir werden noch viel mehr bekommen«, sagte Mary Carson gelangweilt.
    Sie bekamen noch viel mehr. Der zweite trockene Winter brachte eine Kälte, wie man sie, ohne Schnee, nie und nimmer erwartet hätte. Nachts fror der Boden mehrere Zentimeter tief, und die Hunde kauerten zitternd in ihren Zwingern. Sie bekamen Känguruhfleisch und Fettbatzen von geschlachtetem Vieh. Das war für sie bei dieser Kälte das beste Fressen.
    Bei den Clearys gab es jetzt, statt des ewigen Hammel und nochmal Hammel, endlich Rind- und Schweinefleisch, und im Haus wurde geheizt: prasselnde Feuer in Ofen und Herd. Die Männer konnten nun nachts nicht mehr so einfach auf den Koppeln bleiben, denn dort froren sie. Und so kamen sie also, wenn irgend möglich, abends nach Hause. Zu den wenigen, die Grund hatten, sich über die niedrigeren Temperaturen zu freuen, gehörten die Schafscherer, als sie diesmal zur Schur anrückten. Sie wurden mit der Arbeit schneller fertig und schwitzten nicht so fürchterlich. Um jeden der Schurstände in der großen Halle war der Fußboden in einem bestimmten Umkreis deutlich heller als im übrigen Teil. Dort hatte der Arbeitsschweiß der Scherer über einen Zeitraum von fünfzig Jahren hinweg die Bodenbretter ausgebleicht.
    Die Überschwemmung schien inzwischen eine Ewigkeit her zu sein. Dennoch war es ihr zu verdanken, daß es noch Gras gab. Allerdings: Es wurde immer spärlicher, auf wahrhaft bedrohliche Weise spärlicher. Tag für Tag blieb der Himmel bewölkt, und das Licht war trüb. Traurig heulte der Wind über die Koppeln hinweg und wirbelte braune Staubschleier vor sich her, und aus einiger Entfernung sah dieses Schauspiel so aus, daß man immer und immer wieder meinte, jetzt endlich sei der langersehnte Regen da, dort regne es sich ab.
    Durch das zerfetzte, wie aufgefaserte Staubgewölk konnte man sich tatsächlich leicht täuschen lassen.
    Die Kinder bekamen Frostbeulen an den Fingern. Ihre Lippen wirkten schorfig, platzten auf, wenn sie lachten oder auch nur lächelten. Besonders an den Füßen scheuerte sich die ausgetrocknete Haut leicht blutig, und mit äußerster Behutsamkeit mußte man sich die Strümpfe ausziehen. So scharf und kalt blies der Wind, daß man draußen zu spüren meinte, wie er einem geradezu das Gesicht zerschnitt. Aber auch im Haus war man nicht wirklich geschützt, denn nach ihrer Bauweise sollten die Häuser hier möglichst jeden Hauch hindurchlassen - bei glutender Hitze gewiß eine gute und notwendige Idee. Doch jetzt führte das dazu, daß man in eiskalten Zimmern schlafen mußte. Wenn sie sich zu waschen hatten,

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