Die Dornenvögel
warteten die Kinder geduldig, ob Mum nicht ein wenig heißes Wasser aus dem großen Kessel für sie erübrigte, denn sonst froren sie dabei so sehr, daß sie mit den Zähnen klapperten.
Eines Tages begann der kleine Hai zu husten. Keuchend ging sein Atem. Sein Zustand verschlimmerte sich rasch. Fee machte um seine Brust einen heißen Breiumschlag, doch das schien ihm kaum Erleichterung zu bringen. Im Laufe des Tages ging es ihm immer schlechter, und Meggie saß bei ihm und betete stumm »Vater unser, der du bist ...« und »Gegrüßet seist du, Maria«, unaufhörlich. Als dann abends um sechs Paddy kam, konnte er den keuchenden Atem des kranken Kindes schon auf der Veranda hören. Die Lippen des kleinen Hai waren blau verfärbt.
Sofort machte Paddy sich zum Herrenhaus auf, um von dort zu telefonieren. Doch der Arzt war weit entfernt, über sechzig Kilometer, und gerade auf Krankenbesuch. So erhitzten sie Schwefel und ließen den kleinen Hai die aufsteigenden Dünste vorsichtig einatmen, damit sich der Schleim löse, der ihn fast zu ersticken drohte. Doch er hatte einfach nicht die Kraft, das ihn so sehr Störende und Quälende richtig abzuhusten.
Immer blauer wurde sein Gesicht, immer krampfartiger sein Atem. Meggie saß bei ihm, hielt seinen von unbarmherzigen Stößen gefolterten Körper, betete. War sie nicht seine Mutter? Wenn sie nur eine erwachsene Mutter wäre, eine richtige Frau wie Fee, dann würde sie auch irgendwie die Kraft und die Macht besitzen, ihn zu heilen. Fee konnte ihn nicht heilen, weil sie nicht seine Mutter war. Verwirrt und verängstigt hielt sie den von Stößen gequälten kleinen Körper mit ihren Armen umschlungen, versuchte, dem Kleinen auf diese Weise beim Atmen zu helfen.
Der Gedanke, daß er sterben könne, kam ihr nicht, nicht einmal als Fee und Paddy beim Bett niederknieten und zu beten begannen, weil dies das einzige war, was sie noch tun konnten. Gegen Mitternacht löste Paddy dann Meggies Arm vom Körper des kleinen Hai, der jetzt sehr still lag.
Meggie öffnete hastig die Augen. Da das Kind nicht mehr keuchend und mit stoßender, krampfender Brust um Atem rang, war sie vor Erschöpfung eingeschlafen. »Daddy«, sagte sie, »es geht ihm besser!«
Doch der Vater schüttelte den Kopf. Wie eingeschrumpft wirkte er, alles an Paddy erschien auf einmal alt. Im Schein der Lampe erkannte man deutlich die weißen Strähnen in seinem Haar und im wochenalten Bart. »Nein, Meggie, es geht ihm nicht besser, nicht so, wie du meinst. Aber er hat jetzt seinen Frieden. Er ist zu Gott gegangen und spürt keine Schmerzen mehr.«
»Daddy meint, daß er tot ist«, sagte Fee mit tonloser Stimme.
»Oh, Daddy, nein! Er kann doch nicht tot sein!«
Doch er war tot. Jetzt erkannte Meggie es sofort, obwohl der kleine Hai der erste Tote war, den sie in ihrem Leben sah. Nicht wie ein Kind wirkte er auf einmal, eher wie eine Puppe. Sie erhob sich und ging in die Küche, wo die Jungen, in einer Art nächtlicher Wache, um das Herdfeuer saßen. Auch Mrs. Smith war da. Auf einem harten Stuhl sitzend, behielt sie sorgfältig die winzigen Zwillinge im Auge, deren Bettchen, der Wärme halber, in die Küche gestellt worden war.
»Hai ist tot«, sagte Meggie.
Stuart hob den Kopf. Sein Blick schien zurückzukehren wie aus weiter Ferne. »Es ist besser so«, sagte er. »Denke an den Frieden.«
Als Fee in der Diele erschien, ging er sofort zu ihr. »Mum, du mußt müde sein. Komm und lege dich hin. Ich mache in deinem Zimmer den Ofen an. Komm jetzt nur, leg dich hin.«
Fee folgte ihm ohne ein Wort. Bob stand auf und trat auf die Veranda hinaus. Nach einer Weile schlossen sich ihm die anderen Jungen an. Paddy blieb unsichtbar. Wo mochte er sein? Noch bei dem toten Kind?
Mrs. Smith holte den Kinderwagen von seinem Platz auf der Veranda und legte behutsam die schlafenden Zwillinge hinein. Sie blickte zu Meggie, Tränen liefen ihr über die Wangen.
»Meggie, ich gehe zum großen Haus zurück und nehme Jims und Patsy mit. Am Morgen bin ich wieder hier, aber es ist das beste, wenn die Babys fürs erste bei Minnie und Cat und mir bleiben. Sag das deiner Mutter.«
Meggie setzte sich auf einen Stuhl, faltete die Hände auf dem Schoß.
Hai, den sie so geliebt und umsorgt hatte, war tot. Ihr Hai war tot.
Noch konnte sie die Wärme und den Druck des kleinen Körpers an ihrer Brust spüren, so unmittelbar wirkte jetzt die Erinnerung. Und es war furchtbar, zu wissen, daß das nie wieder so sein würde. Vier lange Jahre
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