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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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hatte sie ihn umhegt, hatte ihn zahllose Male in ihren Armen gehalten, und jetzt ... Sie weinte nicht. Sie war nicht mehr das Kind, das in Tränen so ohne weiteres Befreiung und Erlösung finden konnte, das sich ausweinte bei irgendeinem Kummer, um Agnes, oder wegen einer Wunde in der so leicht verletzlichen Kinderseele. Hiermit mußte sie anders fertig werden, und wirklich loswerden würde sie es nie. Hier half ihr nur jener Wille, der bei manchen sehr stark ist und bei anderen weniger. Meggies Überlebenswille war wie eine Stahltrosse, gleichermaßen biegsam und belastbar. Als Pater Ralph zusammen mit dem Arzt eintraf, sah er sie so sitzen: sehr still, die Hände auf dem Schoß gefaltet. Sie deutete auf die Tür des Zimmers, in dem das tote Kind lag, machte jedoch keine Anstalten, den beiden Männern zu folgen. Es dauerte lange, bis der Priester Zeit fand, das zu tun, was er am liebsten sofort getan hätte, als Mary Carsons Anruf ihn im Pfarrhaus erreichte: zu Meggie zu eilen und ganz einfach für sie da zu sein. Wieviel der kleine Hai ihr bedeutet hatte, ahnte außer ihm wohl kaum jemand.
    Doch zunächst blieb ihm manches andere zu tun: das Spenden der Sterbesakramente, für den Fall, daß die Seele den Körper noch nicht verlassen hatte; die Spendung von Trost und die Erteilung praktischer Ratschläge für Fee und für Paddy.
    Der Arzt war inzwischen wieder verschwunden, bedrückt zwar, aber doch seit langem daran gewöhnt, daß es in dem riesigen Gebiet, wo er Menschen zu betreuen hatte, häufiger zu Tragödien kam als anderswo. Allzu groß waren die Entfernungen, allzu weit entfernt waren die Patienten oft nicht nur vom Arzt, sondern auch vom Krankenhaus und vom geschulten Pflegepersonal. Es war ein Teil des Schicksals, das diese Menschen hier auf sich genommen hatten. Auf dem Totenschein hatte er vermerkt, das Kind sei an »Krupp« gestorben, an Kehlkopfdiphterie. Als amtlicher Befund bewies diese Krankheit öfter ihren Nutzen. Pater Ralph war jetzt soweit mit allem fertig. Paddy hatte sich inzwischen ins Schlafzimmer zurückgezogen und lag neben Fee, ihre Hand in der seinen. Keine Lampe brannte, doch unverwandt blieb ihr Bück auf die Gestalt gerichtet, die trotz der Kälte auf dem Fußboden ausgestreckt war: Stuart, der nicht von ihrer Seite wich. Im trüben Licht des nächtlichen Himmels konnte sie das Profil ihres Sohnes erkennen, das überaus klare Profil, das so sehr ihrem eigenen glich.
    Bob und die anderen Jungen waren zur Tischlerwerkstatt gegangen, wo sie damit begonnen hatten, einen kleinen Sarg zu zimmern. Fünf Uhr früh: Verschlafen räkelte sich hier und dort ein Hahn, doch bis es hell wurde, brauchte es noch eine Weile. Der Priester trat in die Küche. Noch hing um seinen Hals die purpurne Stola, er hatte ganz einfach vergessen, sie wieder abzunehmen. Er ging zum Herd, schürte das Feuer auf, legte neue Scheite hinzu. Die Lampe auf dem Tisch verbreitete einen grellen Schein, er drehte sie ein wenig herunter. Dann setzte er sich auf eine Holzbank, Meggie unmittelbar gegenüber. Er betrachtete sie. Wie sehr sie doch gewachsen zu sein schien, nicht nur körperlich. Es war, als wäre sie in Siebenmeilenstiefel geschlüpft und drohe, ihn weit hinter sich zu lassen. Stärker denn je empfand er seine eigene Unzulänglichkeit, spürte noch tiefer jenen ewig nagenden
    Zweifel an seinem Mut. Nur: Wovor hatte er eigentlich Angst? Welche Gefahr oder Probe fürchtete er, nicht bestehen zu können? Andere Menschen flößten ihm keinen Schrecken ein, doch in ihm selbst, da war manchmal so etwas wie ein Zusammenschaudern, eine Furcht vor dem, was unversehens in ihm emportauchen zu wollen schien, Namenloses bis jetzt, noch nicht ins Bewußtsein gehoben. Meggie hingegen, achtzehn Jahre jünger als er, wirkte weit weniger anfällig, sie erschien ihm trotz ihrer Jugend gereifter als er selbst.
    Nicht daß sie eine Heilige gewesen wäre, wirklich nicht. Sie war nicht einmal anders als die meisten Menschen, außer in einem Punkt: Sie besaß eine besondere Gabe - oder war es ein Fluch? -, als unabänderlich hinzunehmen, was immer auch geschehen mochte, dadurch eher noch stärker zu werden, zumindest nicht daran zugrunde zu gehen. Wie und wodurch hatte sie das gelernt? War so etwas überhaupt erlernbar?
    Doch halt! Sah er das alles nicht nur in sie hinein? War dieses Bild, das er sich von ihr machte, vielleicht ausschließlich ein Produkt seiner Phantasie? »Oh, Meggie«, sagte er hilflos.
    Sie sah ihn an, und etwas

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