Die Dornenvögel
ihn von Queen Mary her kannte. Auch ihr Haar trug Fee ähnlich wie die Königin, hohe Frisur mit zurückgekämmten weichen Haarrollen. Im Geschäft in Gilly hatte man auch eine enge Perlenkette und entsprechende Ohrringe aufgetrieben. Daß es sich um unechten Schmuck handelte, sah man nur, wenn man ihn aus nächster Entfernung sehr genau betrachtete. Vervollständigt wurde die Ausstattung durch einen Fächer aus prachtvollen Straußenfedern, die genauso gefärbt waren wie das Kleid.
Als Fee und Paddy aus ihrem Zimmer kamen, starrten die Jungen fassungslos. Noch nie hatten sie ihre Eltern so stattlich gesehen, aber auch noch nie so fremdartig. Paddy wirkte zwar keineswegs jünger, als er war, nämlich einundsechzig, doch bot er eine ausgezeichnete, überaus würdevolle Erscheinung, etwa wie ein Diplomat. Fee hingegen sah man ihre achtundvierzig Jahre auf gar keinen Fall an, sie wirkte mindestens zehn Jahre jünger: schön, voller Leben, mit einem bezaubernden Lächeln. Jims und Patsy heulten vor lauter Verzweiflung los. Das sollten Mum und Daddy sein? Aber die waren ja so ganz anders als sonst, zum Fürchten! Also gab es erst einmal eine gehörige
Verwirrung, und alle fremdartige Würde schwand dahin. Mum und Daddy benahmen sich wie immer, und bald strahlten die Zwillinge vor Bewunderung.
Doch das größte Aufsehen rief Meggie hervor. Sie wurde von allen am längsten angestarrt. Die Schneiderin in Gilly schien in ihr Kleid gewissermaßen ihre ganze Seele gelegt zu haben, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht hatte sie sich an ihre eigene Jugend erinnert, vielleicht auch war sie darüber erzürnt, daß die anderen zur Party eingeladenen jungen Damen sich ihre Kleider aus Sydney kommen ließen. Jedenfalls hatte die Schneiderin so etwas wie ihr Meisterwerk geschaffen.
Es war ein ärmelloses Kleid mit einem ganz erstaunlich tiefen Ausschnitt, vor allem, wenn man bedachte, daß man sich hier ja nicht in Sydney befand. Was bei Fee, innerhalb strikter Grenzen, großzügig wirkte als Dekollete, bei Meggie war es großzügig, und so hatte Fee denn zunächst auch ihre Zweifel gehabt. Doch sie, wie auch Meggie, waren von der Schneiderin beschwichtigt worden: Ja, auch die anderen jungen Damen trugen dergleichen, und Fee würde doch sicher nicht wollen, daß ihre Tochter grauenvoll provinziell wirkte?
Fee hatte nur kurz gezögert und dann eingewilligt. Und das Kleid schien alle Bemühungen wirklich wert zu sein. Aus Georgette war es, in der Taille nur sacht gerafft und um die Hüften gleichsam gebauscht. Den Farbton konnte man als fahles rötliches Grau beschreiben: das, was damals Asche der Rose genannt wurde. Überdies war das Kleid (Meggie hatte der Schneiderin dabei geholfen) üppig bestickt, lauter winzige, zartrosa Rosenknospen. Ein Letztes kam hinzu: die Frisur. Der allgemeinen Mode entsprechend, trugen inzwischen auch in Gilly die jungen Damen meist Herrenschnitt, und Meggie hatte sich dem angepaßt. Zwar war ihr Haar zu lockig, um ganz den Forderungen der Mode zu entsprechen, doch kurz wirkte es jetzt jedenfalls besser als lang. Paddy öffnete den Mund zum lauten Protest. Das war doch nicht mehr sein kleines Mädchen. Doch er schloß ihn wieder, ohne auch nur ein einziges Wort gesagt zu haben. Allzu deutlich stand ihm noch jene Szene im Pfarrhaus in Erinnerung, der Streit zwischen Frank und ihm selbst. Lange war das inzwischen her, doch er hatte daraus gelernt. Nein, Meggie konnte nicht für immer sein kleines Mädchen bleiben. Sie war jetzt eine junge Frau und sicherlich selbst verwundert - und womöglich gar ein bißchen verschreckt - über ihre Verwandlung, die ihr der Spiegel ja gezeigt hatte. Warum es ihr also noch schwerer machen, dachte er. Er streckte ihr seine Hand hin und lächelte zärtlich. »Oh, Meggie, du siehst ja so reizend aus! Komm, ich werde selbst dein Begleiter sein, und Bob und Jack werden sich um deine Mutter kümmern.« Sie war jetzt fast siebzehn, nur ein knapper Monat fehlte ihr noch daran, und zum ersten Mal fühlte Paddy sich wirklich alt. Doch sie war sein Herzblatt, sein Augapfel, und nichts sollte ihr Vergnügen an ihrer ersten Erwachsenen-Party trüben.
Sehr langsam schritten sie in Richtung Herrenhaus, bei weitem zu früh für die ersten Gäste. Doch sie sollten zunächst mit Mary speisen, um sodann an ihrer Seite die Eintreffenden zu empfangen. So vorsichtig sie die Füße auch setzten, fast zwei Kilometer durch den Staub von Drogheda waren ein weiter Weg, und so machten sie im
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