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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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hätten sie anderem den Vorzug gegeben: gerösteter Lammkeule beispielsweise oder auch Corned Beef und, soweit es Getränke betraf, dem billigen, doch hochwirksamen Bundaberg-Rum oder dem Grafton-Bitter direkt vom Faß. Immerhin war es recht angenehm zu wissen, daß sie sich die besseren Dinge des Lebens jetzt leisten konnten.
    Ja, es gab auch magere Jahre, sehr viele sogar. Also galt es, die ansehnlichen »Woll-Schecks«, die man in den guten, in den fetten Jahren hatte vereinnahmen können, sorgsam zu horten als notwendiges Polster für die unausbleiblichen schlechten Jahre: Nie konnte man voraussagen, wann es wieder Regen geben würde. Doch befand man sich augenblicklich in einer guten Phase, seit einer ganzen Weile schon, und schließlich gab es in Gilly wenig Möglichkeiten, das Geld auszugeben. Oh, wenn einem die Schwarzerdebenen des Großen Nordwesten erst einmal Heimat waren, so gab es auf der ganzen Welt nichts, was sich damit vergleichen ließ. Sie machten nostalgische Pilgerreisen in die alte Heimat, doch die hatte ihnen nichts anderes eingetragen als Diskriminierungen ihres religiösen Glaubens wegen. Australien andererseits war ein viel zu katholisches Land, als daß Diskriminierungen zu befürchten gewesen wären. Und der Große Nordwesten war die Heimat, die wirkliche Heimat. Was im übrigen das Geld betraf: An diesem Tag kam ja Mary Carson für alles auf. Und sie konnte es sich wirklich leisten. Manche behaupteten sogar, in puncto Reichtum könne sie den König von England ausstechen. Sie hatte, wie man es nannte, Geld in Stahl, Geld in Silber und Blei und Zink, Geld in Kupfer und Gold, Geld in noch hundert anderen Sachen, meist in solchen, wo - buchstäblich wie metaphorisch - Geld Geld machte. Drogheda hatte schon vor langem aufgehört, die Hauptquelle ihres Einkommens zu sein; es war nicht mehr als ein profitables Hobby.
    Weder während des Dinners noch danach sprach Pater Ralph direkt zu Meggie. Den ganzen Abend über ignorierte er sie betont. Sie fühlte sich verletzt, suchte ihn immer wieder mit den Augen. Er spürte ihre Blicke, und am liebsten hätte er sich bei der allernächsten Gelegenheit zu ihrem Stuhl gebeugt und ihr erklärt, daß es weder ihrem noch seinem Ruf nützen könne, wenn er ihr mehr Aufmerksamkeit widmete als, beispielsweise, Miß Carmichael, Miß Gordon oder Miß O’Mara. Genau wie Meggie tanzte er nicht, und genau wie auf Meggie ruhten auch auf ihm viele Blicke; denn beide waren zweifellos die schönsten Menschen hier.
    Im übrigen glich er in einem Punkt an diesem Abend fast einer gespaltenen Persönlichkeit. Die eine Seite seines Wesens verabscheute nämlich die Erscheinung, die Meggie jetzt bot: das kurze Haar, das reizende Kleid, die zierlichen seidenen Schuhe im Asche-der-Rosen-Farbton mit den fünf Zentimeter hohen Absätzen - aber Meggie wirkte nicht nur größer als früher, sie war es auch und entwickelte zudem eine sehr weibliche Figur. Doch die andere Seite seines Wesens empfand einen ungeheuren Stolz darüber, daß sie all die anderen jungen Damen hier eindeutig überstrahlte. Miß Carmichael besaß zwar gleichfalls ein feingemeißeltes, aristokratisch wirkendes Gesicht, doch fehlte es ihr an jenem Besonderen, das durch das rotgoldene Haar gleichsam gekrönt wurde; Miß King hatte zwar wunderschöne blonde Locken, doch ihr Körper, nein, grazil konnte man ihn kaum nennen; Miß Mackailhin wiederum besaß zwar einen prachtvollen Körper, doch ihr Gesicht ähnelte sehr dem Gesicht eines Pferdes, das durch einen Drahtzaun hindurch an einen verlockenden Apfelbaum heranzugelangen versucht. Dennoch blieb der Grundtenor seiner Reaktion Enttäuschung: die Enttäuschung eines Mannes, der nur zu gern den Kalender zurückblättern, die Uhr zurückdrehen würde. Er wollte nicht, daß Meggie erwachsen wurde. Sie sollte das kleine Mädchen bleiben, das er weiterhin als seinen Herzensliebling, als sein Goldkind behandeln konnte. Auf Paddys Gesicht entdeckte er einen Ausdruck, der seine eigenen Gedanken widerzuspiegeln schien, und er lächelte schwach. Was für eine Wohltat wäre es doch, wenn er auch nur einmal im Leben seine Gefühle zeigen könnte! Doch Gewohnheit, Erziehung und wohl auch angeborene Reserviertheit ließen das nicht zu. Je später es wurde, desto weniger förmlich benahmen sich die Gäste. Schwungvoller und vergnügter tanzte man jetzt, und man trank auch nicht mehr Champagner und Whisky, sondern hielt sich an Rum und Bier. Das Ganze glich nun eher einem der

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