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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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kommen?« »O ja«, sagte sie mit Nachdruck und voll Stolz, weil auch sie endlich etwas wußte. »Sie wachsen einem.« »Und wie kommt es dazu?«
    »Weil man sie sich wünscht.«
    »Wer hat dir das gesagt?«
    »Niemand. Das habe ich mir selbst überlegt.«
    Pater Ralph schloß die Augen. Niemand, dachte er, würde ihn wohl einen Feigling nennen können, weil er die Sache von diesem Punkt an auf sich beruhen ließ. Er konnte mit Meggie zwar Mitleid haben, aber weiterhelfen, nein, weiterhelfen konnte er ihr nicht. Genug war genug.

7
     
     
     
     
     
    Mary Carsons zweiundsiebzigster Geburtstag stand bevor, und sie gedachte, die größte Party zu geben, die Drogheda seit fünfzig Jahren gesehen hatte. Ihr Geburtstag fiel in die erste Novemberwoche, in der es zwar heiß war, jedoch noch erträglich heiß - zumindest für die Einheimischen von Gillanbone.
    »Bedenken Sie nur, Mrs. Smith!« flüsterte Minnie. »Bedenken Sie nur! Am dritten November ist sie geboren!«
    »Worauf wollen Sie denn diesmal hinaus, Min?« fragte die Haushälterin. Minnies keltische Geheimnistuerei ging ihr denn doch auf die guten und stabilen englischen Nerven.
    »Nun, sie ist also eine Skorpion-Frau, oder etwa nicht? Eine Skorpion-Frau - na!«
    »Ich habe nicht die leiseste Idee, wovon Sie reden, Min!« »Das schlechteste, das allerschlechteste Tierkreiszeichen, in dem eine Frau geboren sein kann, liebe Mrs. Smith. Oh, sie sind die Kinder des Teufels, ja, das sind sie!« sagte Cat mit fast tellergroßen Augen und bekreuzigte sich hastig.
    »Also wirklich, Minnie und Cat, das ist ja wohl die Höhe mit euch!« meinte die Haushälterin, von irischem Aberglauben offenbar wenig beeindruckt.
    Doch die prickelnde Erregung stieg; und stieg immer höher. Die alte Spinne in ihrem Ohrenstuhl saß genau in der Mitte ihres Netzes und erteilte Befehle, einen endlosen Strom. Dies mußte getan werden, und jenes mußte getan werden; das und das war aus Lagerräumen zu holen oder in Lagerräume zu bringen. Die beiden irischen Mädchen polierten das Silber auf Hochglanz und spülten das beste Haviland-Porzellan. Und sie verwandelten die Kapelle wieder in einen Empfangsraum zurück und bereiteten auch die benachbarten Speisezimmer vor.
    Stuart und eine Gruppe von Hilfsarbeitern mähten den Rasen, jäteten die Blumenbeete, streuten feuchtes Sägemehl auf die Verandas (um den Staub zwischen den spanischen Fliesen zu entfernen) und Kreide auf den Fußboden des Empfangsraums, damit man dort tanzen konnte. Aus Sydney, dem fernen Sydney, sollte eigens die Band von Clarence O’Toole kommen, um bei der Party aufzuspielen. Außerdem wurden von dort angeliefert: Garnelen und Austern, Krebse und Hummer. Als Aushilfskräfte engagierte man eine Reihe von Frauen aus Gilly. Der gesamte Distrikt, von Rudna Hunish bis Inishmurray, bis Bugela, bis Narrengang, war wie in Gärung.
    In den marmornen Gängen hallte es wider von sonst unbekannten Geräuschen und Lauten. Alle möglichen Dinge wurden umhertransportiert, und man rief einander Anweisungen zu. Währenddessen setzte sich Mary Carson von ihrem Ohrensessel an ihren Schreibtisch. Sie zog ein Blatt Pergamentpapier hervor, tauchte ihren Federhalter ins Tintenfaß und begann zu schreiben. Es gab nicht das geringste Zögern oder Innehalten, nicht einmal, wenn sie ein Komma setzen mußte. In den vergangenen fünf Jahren hatte sie in ihrem Kopf jede, auch die komplizierteste, Formulierung so weit ausgearbeitet, bis sie mit ihr Wort für Wort zufrieden war. Jetzt dauerte es nicht sehr lange, bis sie alles niedergeschrieben hatte: auf insgesamt zwei Bogen Papier, davon der eine nur zu drei Vierteln voll. Als sie fertig war, blieb sie noch am Schreibtisch sitzen, der bei einem der großen Fenster stand, so daß sie nur den Kopf zu wenden brauchte, um hinauszublicken über den Rasen. Und eben das tat sie jetzt, weil sie ein Lachen hörte. Müßig drehte sie den Kopf und erstarrte dann vor Zorn. Gott verdamme ihn und seine Leidenschaft! Pater Ralph hatte Meggie Reitunterricht gegeben: Bis er sie dazu aufforderte, hatte sie noch nie auf einem Pferd gesessen. Das war bei armen Landfamilien in der Regel so. Die Töchter konnten zwar mit Fuhrwerken und Pferdegespannen umgehen, auch Traktoren und manchmal sogar Autos fahren, aber daß sie ritten, kam nur selten vor. Das war ein Zeitvertreib für reiche junge Frauen, die sich dergleichen leisten konnten.
    Als Pater Ralph die halbhohen Zugstiefel und die TwillReithose, die er aus Gilly

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