Die Dornenvögel
mitgebracht hatte, bei den Clearys auf den Küchentisch legte, blickte Paddy von dem Buch hoch, in dem er (es war nach dem Abendessen) gerade las.
»Nanu, was haben Sie denn da, Pater?« fragte er mit leiser Verwunderung.
»Reitkleidung für Meggie.« »Was!?« rief Paddy mit dröhnender Stimme. »Was!?« sagte Meggie mit einem Quiekser.
»Reitkleider für Meggie, ja. In aller Aufrichtigkeit, Paddy - Sie sind ein ausgemachter Idiot! Eines Tages werden Sie die größte und reichste Station in ganz Neusüdwales erben, aber daran, Ihre Tochter mal auf ein Pferd zu setzen, denken Sie nicht! Wie, glauben Sie, soll Meggie ihren Platz an der Seite einer Miß Carmichael, einer Miß Hopeton und einer Mrs. Anthony King einnehmen, die doch alle ausgesprochene Reiterinnen sind? Meggie muß reiten lernen, und zwar sowohl auf einem Damen- als auch auf einem ganz normalen Herrensattel, hören Sie? Da Sie sicher keine Zeit dafür haben, werde ich ihr Unterricht geben, jede Woche ein paar Stunden. Für die wenigen Augenblicke kann Fee schon mal ohne Meggies Hilfe im Haus auskommen. Keine Widerrede, es ist beschlossene Sache.« Paddy dachte gar nicht an Widerrede. Sich mit einem Priester zu streiten war ihm unmöglich. Also lernte Meggie reiten. Seit Jahren hatte sie sich nach einer solchen Gelegenheit gesehnt, hatte deshalb sogar einmal ihren Vater gefragt. Doch Paddy vergaß das sofort, und sie fragte ihn nie wieder. Seine Reaktion war für sie gleichbedeutend mit einem Nein.
Daß dann Pater Ralph ihr das Reiten beibrachte, erfüllte sie mit einer tiefen Freude, von der sie sich jedoch nichts anmerken ließ. Denn inzwischen war er für sie zu einem ganz besonderen Idol geworden, zum Objekt einer backfischhaften Schwärmerei. Sie himmelte ihn an; träumte davon, in seinen Armen zu liegen und von ihm geküßt zu werden. Doch weiter gingen ihre Träume nicht, weil sie nicht wußte, was danach kam, ja, daß überhaupt etwas danach kam.
Natürlich, soviel begriff sie wohl, war es nicht recht von ihr, so etwas von einem Priester zu träumen. Aber diese Träume, sie kamen und ließen sich nicht vertreiben. Und so konnte sie nur eines tun: sich um nichts auf der Welt etwas von ihren so ungehorsamen Gefühlen anmerken lassen.
Durch das hohe Fenster, an dem ihr Schreibtisch stand, beobachtete Mary Carson aufmerksam den Priester und das Mädchen, die jetzt in Richtung des Stalls gingen, wo die beiden Vollblüter untergebracht waren, die Mary Carson als
Reitpferde hielt; nicht für sich, sondern - ursprünglich jedenfalls - ausschließlich für Pater Ralph. Nur daß er ihr dann eines Tages mit der Frage gekommen war, ob er nicht auch Meggie auf den Tieren reiten lassen könne. Abschlagen konnte sie ihm diese Bitte ja nicht gut. Das Mädchen war ihre Nichte, und außerdem hatte er recht: Leidlich reiten sollte sie schon können. Doch die Sache war Mary Carson zuwider, tief zuwider. Nur zu gern hätte sie den Pater mit seiner Bitte abblitzen lassen; oder hätte doch wenigstens dabeisein mögen, wenn die beiden ausritten. Aber ihre alten Knochen taugten nicht mehr für einen Sattel, da war einfach nichts zu wollen.
Es erbitterte sie, die beiden so zu sehen: Dort drüben gingen sie jetzt, in Reitkleidung; er in hohen Stiefeln, Breeches und weißem Hemd -elegant und anmutig wie ein Tänzer; sie in halbhohen Stiefeln und sogenannten Jodhpurs - schlank, von knabenhafter Schönheit. Was zwischen ihnen bestand, war - allem Anschein nach - ein völlig unbeschwertes Freundschaftsverhältnis. Wie, dachte Mary Carson zum millionsten Mal, kam es nur, daß außer ihr niemand etwas gegen die engen, fast schon intimen Beziehungen zwischen den beiden einzuwenden hatte? Paddy fand’s wundervoll, Fee (Stück Holz, das sie war) schwieg, wie gewöhnlich, und die Jungen sahen in den beiden offenbar so etwas wie ein Geschwisterpaar. Niemand schien zu erkennen, was sie, Mary Carson, geradezu überdeutlich zu sehen meinte. Wie kam das nur? Lag es daran, daß sie ja selbst Ralph de Bricassart liebte? Oder bildete sie sich das Ganze vielleicht nur ein, und es gab da nichts weiter als eine schlichte Freundschaft zwischen einem Mann Mitte dreißig und einem jungen Mädchen, das erst im Begriff stand, eine Frau zu werden? Unsinn! Wohl kein Mann in diesem Alter würde blind sein für die erblühende Rose, nicht einmal Ralph de Bricassart. Nicht einmal Ralph de Bricassart? Hah! Vor allem nicht Ralph de Bricassart! Dem Mann entging doch nie etwas.
Ihre Hände
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