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Die Drachen Der Tinkerfarm

Die Drachen Der Tinkerfarm

Titel: Die Drachen Der Tinkerfarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Beale , Tad Williams
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    Und damit erschien vor Lucindas innerem Auge das Bild einer schwach leuchtenden geduckten Gestalt, die durch die Dunkelheit schlich, ein weniger gesehenes als geahntes Bild, vergleichbar der Einstellung »Nachtsicht« in diesem einen Kampfspiel von Tyler. Doch der Gegenstand, den die leuchtende Figur trug, leuchtete viel stärker: ein eiförmiger Wärmefleck.
    Es geschieht in diesem Augenblick, erkannte Lucinda. Sie spürt, dass jemand in diesem Augenblick ihr Ei fortschafft!
    JA! EI!
    Meseret biss immer wütender auf die Riemen ein, ohne sich darum zu kümmern, dass ihre Zähne sich in ihre eigene Schuppenhaut bohrten. An der Seite lief ihr das Blut herunter, das im Licht der Neonlampen fast schwärzlich aussah.
    EI! JETZT!
    Die Gedanken waren noch zu verstehen, aber flackerig, als ob sie von unter Wasser kämen. Das Beruhigungsmittel zeigte wohl langsam Wirkung, dachte Lucinda erleichtert.
    Mit einem Knall wie ein Schuss – Peng!  – riss plötzlich einer der von Meseret angenagten schweren Riemen. Dann rissen der nächste und noch einer und noch einer. Peng! Peng! Peng!, krachten sie wie Feuerwerkskörper. Von den Fesseln befreit legte sich die Drachin mit ihrer Mittelpartie auf die metallene Absperrung, die oben umknickte, als wäre sie nur ein billiger Löffel, der vor tiefgefrorenem Speiseeis versagte. Eine der Fesseln hing ihr wie ein Schal um den Hals, als sie den Kopf über den Zaun streckte. Sie rollte mit den weit aufgerissenen rotgoldenen Augen, und Lucinda ließ jede Hoffnung fahren, mit diesem viele Tonnen schweren Ungetüm zu kommunizieren. Die Vorstellung, ihr gestohlenes Ei könnte irgendwo in der Nähe sein, trieb das Tier schier zum Wahnsinn, und das Beruhigungsmittel war dagegen machtlos. Lucinda schrie Haneb zu, doch der kleine Mann hockte zusammengekauert da und hielt sich die Arme über den Kopf. Dem männlichen Drachen war er mutig entgegengetreten, aber dies hier überforderte ihn. Er schien auf den Tod zu warten.
    Von ihren zerrissenen Fesseln umflattert schleppte Meseret ihren massigen Körper mit immer wieder einknickenden Vorderbeinen durch die Halle. Tische stürzten um, Apparate gingen zu Bruch. Einer der hinterherschleifenden Riemen verfing sich an einem Regal, das von der Wand gerissen wurde und auf dem Betonboden einen Scherbenhaufen mit auslaufenden Flüssigkeiten hinterließ. Die Drachin stampfte an Lucinda und Haneb vorbei und rammte mit ihrem mächtigen Schädel gegen die Tür des Krankenstalls, so dass diese aus den Angeln brach, doch der Türrahmen und die halbkreisförmige Wand darum waren aus Beton, der zu stark für sie war. In zorniger Verzweiflung schrie sie so laut, dass es über die ganze Farm schallte.
    EI! EI!
    Der wütende Gedanke war so mächtig, dass er in Lucindas Kopf wie Feuer brannte. Meseret drosch auf die Wand um die eingeschlagene Tür ein wie der größte Specht der Welt, doch der Beton hielt selbst ihrer gewaltigen Kraft stand. Mit einem erneuten Brüllen drehte sie sich um und walzte zum anderen Ende des Krankenstalls.
    Lucinda stand ihr genau im Weg.
    Alle Bewegungen um sie herum schienen zu gelieren wie in einem auf Zeitlupe geschalteten Video. Nur ihre Gedanken rasten. Das Betäubungsgewehr war unter den Trümmern verschwunden, und Haneb lag noch am Boden – vielleicht ja von einem fliegenden Metallteil getroffen und schon tot.
    Lucinda hob die vor ihr liegende Schachtel auf, auf der in großen Filzbuchstaben BETÄUBUNGSPFEILE stand. Darunter hatte jemand geschrieben: GROSSTIERMISCHUNG (Thiam., Phenc., Scop.), und sie hoffte, das hieß, dass die Pfeile bereits mit dem Mittel gefüllt waren.
    Die auf sie zukommende Meseret fegte mit ihrem peitschenden Schwanz Metallregale von der Wand, blind für alles außer dem großen Tor mit dem schweren Rollladen am hinteren Ende des Stalls.
    Lucinda griff in die Schachtel. Nur noch ein Pfeil war übrig, ein spritzenartiges Röhrchen mit Federn an einem Ende und einer ungefähr zehn Zentimeter langen dicken Nadel mit einer Kunststoffkappe.
    Da war Meseret auch schon heran, groß wie ein Bus und anscheinend völlig von Sinnen. Lucinda musste sich zwingen, vor dem anstürmenden Ungetüm nicht die Augen zuzukneifen. Sie hielt die zitternde Hand hoch, um mit der Nadel durchdie extrem dicke Haut zu stechen, doch im letzten Moment machte die Drachin einen Bogen um sie. Lucinda wollte schon erleichtert aufatmen, da schlugen ihr Meserets abgerissene Fesseln den Pfeil aus der Hand und

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