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Die Drachen Der Tinkerfarm

Die Drachen Der Tinkerfarm

Titel: Die Drachen Der Tinkerfarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Beale , Tad Williams
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normalerweise bei der Tierfütterung – sowohl Ringschlangen als auch Greifen mochten gern Milch, erfuhr Lucinda –, und manchmal putzte sie sie sogar. Einmal durfte Lucinda ein Einhorn striegeln, und das war eine der aufregendsten Sachen, die sie je gemacht hatte. Ragnar hielt ihm den Kopf (damit es sie nicht mit seinem Horn aufspießte wie eine Olive am Zahnstocher, erklärte Tyler in theatralischem Flüsterton), während Lucinda Kletten aus dem zottigen hellen Fell bürstete. Von nahem roch es wie ein Pferd, aber auch ein wenig nach Blumen und nach noch etwas anderem – etwas Kribbligem, wie Strom.
    Manchmal fütterten sie die Tierjungen, und das machte Lucinda am liebsten. Einmal ließ Walkwell sie einen vogelköpfigen Handschuh anziehen, um ein Greifenjunges zu füttern, das ungefähr die Größe einer Hauskatze hatte. Es hatte einen vierbeinigen Rumpf, aber einen Kopf wie ein Vogel, und war am ganzen Leib mit goldenen Daunen bedeckt wie ein Hühnerküken. Trotz seiner gefährlichen kleinen Krallen war es ihretwegen nervöser als sie seinetwegen. Lucinda musste sehr viel Geduld aufbringen, bis es die Wurm- und Thunfischfitzel nahm, die sie ihm im Puppenschnabel hinhielt.
    »Wenn das ein Junges ist, wie groß werden die dann?«, fragte sie.
    Walkwell deutete auf eines der älteren Geschwister im wenige Meter entfernten Hauptgehege – das Kleine hatte seinen eigenen Käfig. Gelbbraune gefiederte Hinterbeine ragten aus einer Hütte, in der ihr Besitzer schlief und dabei gelegentlich mit Schwanzschlägen Fliegen vertrieb. Das Tier war groß, ungefähr wie ein Löwe, und sie war dankbar, dass sie das Kleine zum Füttern nicht aus dem Erwachsenenkäfig holen mussten. Der Schwanz machte wieder flapp, und der große Greif seufzte im Schlaf, ein eigenartiger Ton, der aus einer Knochentrompete hätte kommen können.
    Während die erste Woche verging, dann die zweite und dritte und aus Juni Juli wurde, bekam Lucinda langsam eine Ahnung davon, wie das Leben auf der Farm wirklich war, doch das steigerte nur ihre Verwirrung. Zunächst einmal, erkannte sie, lief das Ganze überhaupt nicht farmmäßig ab. Gideon und seine Arbeiter zogen die Tiere anscheinend nicht zu einem bestimmten Zweck auf, und abgesehen von den Wiesen, die das Heu für die Winterfütterung gaben, und dem Obstgarten hinter dem Haus wurden auf der Farm anscheinend nur die Gemüse und Kräuter in Mrs. Needles Küchengarten angebaut. Es war ein recht großer Garten voller Pflanzen, die Lucinda nicht kannte, und es gab sogar ein rätselhaftes Treibhaus mit reicher, viktorianisch aussehender Eisenverzierung, aber Mrs. Needle baute nichts kommerziell an. Überhaupt schien nichts auf der Farm darauf angelegt zu sein, Geld abzuwerfen oder mehr als ein paar Grundbedürfnisse der dort lebenden Leute zu befriedigen.
    Nein, die Tinker- oder Ordinary Farm war mehr ein Zoo als sonst etwas: Alles drehte sich um die Versorgung der vielen phantastischen Tiere. Aber Zoos verdienten Geld damit, dass sie Eintrittskarten verkauften, wusste Lucinda, und davon konnte hier auf gar keinen Fall die Rede sein (obwohl Onkel Gideon Millionen, wenn nicht Milliarden verdienen konnte, falls er sich je dazu entschloss). Was also lief hier ab? Wenn sie nichts erzeugten und wenn sie die Drachen und Einhörner niemandem zeigten, wie konnten sie dann das Futter für die Tiere und das Essen für die Menschen bezahlen, die Medikamente und die Löhne der Arbeiter und …?
    Sie gab nur ungern zu, dass Tyler recht hatte, aber die ganze Geschichte war unbegreiflich.
    Und es gab viele Münder zu stopfen. Die Hirten Kiwa, Jeg und Hoka, »die drei Amigos«, wie Tyler sie nannte, hielten sich die meiste Zeit in einer Hütte draußen auf der Weide auf, kamen aber zum Essen ins Haus. Außer ihnen, Haneb, Ragnar und Simos Walkwell arbeiteten noch sechs oder sieben andere Männer verschiedener Hautfarbe und Größe auf dem Anwesen, und sie wohnten in einer Schlafbaracke in der Nähe des Reptilienstalls. Lucinda hatte noch keine Gelegenheit gehabt, ihre Namen zu erfahren. Also wie viele waren das insgesamt – achtzehn oder neunzehn Personen, die ernährt und untergebracht werden mussten, sie und Tyler nicht eingerechnet? Und wenn die Tiere irgendwie gemacht worden waren, wie Tyler dachte, dann musste es Anlagen geben, die sie und ihr Bruder noch gar nicht gesehen hatten, ein Labor und dazugehöriges Personal.
    Wie also funktionierte das Ganze? War Onkel Gideon reich? Man hätte es jedenfalls nicht

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