Die Drachen Der Tinkerfarm
Hausecke kam.
Alamu war nicht einmal halb so groß wie Meseret, aber ungleich schneller in seinen Bewegungen. Er war mit kupferroten und schwarzen Schuppen bedeckt, die wie ein Klapperschlangenrücken im hellen Sonnenschein schimmerten, und säbelkrumme Krallen blitzten, als er sich vor Lucinda aufrichtete. Er drehte seinen keilförmigen Kopf zur Seite und musterte sie, dann ließ er sich abrupt wieder fallen, streckte den Kopf vor und äugte genau in ihre Richtung. Haneb riss Lucinda zurück. »Still!«, zischte er. »Und nicht bewegen!«
Sie hätte sich nicht bewegen können, selbst wenn sie gewollt hätte.
Die Flügel des Drachen entfalteten sich langsam und prachtvoll wie die eines Schmetterlings, der aus der Puppe schlüpft. Dann schnellte das schlanke Untier plötzlich in die Luft und flog geradewegs auf die beiden zu.
Sie konnten sich nicht einmal mehr ducken. Einen Moment lang hörte Lucinda nur sich selbst atmen und ihr Blut rauschen, dann knallte etwas über sie hinweg wie ein ausgeschlagenes Handtuch – ein Handtuch so groß wie eine Rakete. Alamus sandfarbene Flügel flatterten im Flug an den Rändern, dann legte er diese Flügel so blitzschnell an, dass er jäh niederging und mit einem dumpfen Schlag landete, den Lucinda in den Knochen spürte. Jetzt, da er ihnen den Fluchtweg zum Stall abgeschnitten hatte, bewegte sich Alamu mit gesenktem Kopf auf sie zu.
Haneb, der Lucindas Hand schmerzhaft fest umklammertgehalten hatte, stieß sie hinter sich und sagte: »Zurück! In den Schuppen da, gehen!«
»Was?« Sie blickte über die Schulter und sah zehn Meter hinter sich einen kleinen Holzschuppen neben einem der vielen Brunnen der Farm. Die Tür war ausgehängt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Bretterbude den Drachen länger als ein paar Sekunden aufhalten konnte.
»Gehen!«, rief er. »Bitte, Miss, aber langsam!« Dann schritt er vorwärts, patschte mit dumpfem Schlag die Handschuhe zusammen und schrie immer wieder »Ha! Ha! Ha!« in die Richtung des Drachen. Kleine Schauer liefen ihm den Nacken hinunter. Jetzt beobachtete Alamu nur noch Haneb wie eine Schlange eine in der Falle sitzende Maus.
Lucinda wich in den Eingang des mit Einmachgläsern vollstehenden Schuppens zurück, ging aber nicht weiter hinein, weil sie sehen wollte, was weiter passierte. Haneb war wieder stehengeblieben und stand völlig unbewegt da, während der Drache auf den Hinterbeinen angestapft kam, den Kopf auf Hanebs Augenhöhe vorgestreckt. Beim Ein- und Ausatmen tanzten kleine Flammen um Alamus Nüstern.
Das Ungetüm hielt inne und schnupperte die Luft um den regungslosen Haneb, der in der Aufregung irgendwo seine Haube fallen gelassen hatte. Mit Grauen stellte Lucinda sich vor, das Monster würde in das ohnehin schon verunstaltete Gesicht des kleinen Mannes Feuer speien. War ihm das schon einmal widerfahren? Waren das Drachennarben?
Alamus langer Kopf auf dem beweglichen Hals, ein guter Meter Knochen, Zähne und Muskeln, schob sich näher heran, und vor den Nüstern flimmerte die Luft vor Hitze. Die kupferroten und schwarzen Schuppen glitzerten in der Sonne. Das Maul ging auf, und gebogene Zähne und eine schlängelnde schwarze Zunge wurden sichtbar.
Irgendwo in der Ferne ertönte ein tiefes Läuten – eine Glocke, aber mit einem Ton, wie Lucinda noch nie einen gehört hatte.
Der Drache blieb stehen, lauschte wachsam. Nach kurzem Zögern schnaubte er, wandte sich ab und lief mit schweren, hammerschlagartigen Schritten über das offene Gelände neben dem Krankenstall, bis er plötzlich einen Satz machte und davonflog. Sein Schwanz peitschte durch die Luft wie eine Schlange.
Lucinda hörte sich ausatmen. Haneb hatte sich hinplumpsen lassen und starrte seine Hände an, als entdeckte er staunend, dass er welche besaß. Lucinda kam angelaufen und blickte mit abgeschirmten Augen in die Höhe. Alamu flog schnell, aber der Himmel war weit und klar, und während er über dem Haus in Richtung des Reptilienstalls und der fernen Weiden enteilte, sah sie, wie das Sonnenlicht durch seine ausgespannten Flügel schien.
»Wow«, hauchte sie. Dann fing sie plötzlich zu weinen an.
15
BEZWINGER DES GROSSEN KREBSES
E cht, Tyler, du hättest ihn sehen sollen!«, sagte Lucinda, als sie neben ihn auf den Pferdewagen stieg. »Es war unglaublich … Ich hatte solche Angst! Aber er sah auch toll aus! Wie eine Schlange oder eine Eidechse – nein, wie eine Fledermaus … ich weiß nicht. Und er war ganz glänzig, und er hat
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