Die Drachen Der Tinkerfarm
Aufmerksamkeit gleich wieder der Glut zu.
»Mein Papa ist eigentlich gar nicht so asozial und unhöflich, wie er tut«, sagte Carmen laut. »Er interessiert sich nur einfach mehr für seinen Grill als für Leute. Stimmt’s, Papa?«
»Wenn du ein paar Minuten zu lange wartest, kühlt die Glut ab«, sagte Mr. Carrillo mit dem Rücken zu ihnen. »Dann wird das Fleisch nicht richtig durch. Das ist eine Wissenschaft .«
»Unser Vater, Hector Carrillo«, sagte Steve. »Kandidat für das verrückteste Grillgenie.«
Sie tranken Limonade und spielten Tischtennis, und alles war so wohltuend normal, dass Tyler die Geheimnisse der Ordinary Farm eine Zeitlang fast vergaß. Walkwell kam angehumpelt, um mit Mr. Carrillo die Feinheiten des Grillens zu erörtern. Der alte Mann hatte zum Rotwein ja gesagt und machte jetzt einen ganz vergnügten Eindruck. Verwandte der Carrillos trafen ein, Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen, und alle stellten etwas zu essen auf den Picknicktisch, bis kaum mehr Platz für Teller war, von denen man essen konnte. Bald wurden Ofengerichte und Salatschüsseln auch auf dem Tischtennistisch aufgebaut.
»Du lieber Gott!«, sagte Lucinda. »Das Essen hier reicht ja für eine ganze Armee!«
»Jo«, sagte Tyler glücklich. »Das kannst du laut sagen.«
Eine alte Dame, die so klein und rund war, dass sie als Munchkin aus dem Lande Oz hätte durchgehen können, und Haare in einem Rotton hatte, wie Lucinda ihn nur von Leadsängern in Punkbands kannte, lächelte und sagte: »Ich hoffe, ihr habt Appetit mitgebracht, Kinder.«
»Das sind Lucinda und Tyler, Oma«, sagte Carmen. »Von nebenan. Das ist meine Oma Paz.«
»Aha.« Die kleine alte Dame nahm die beiden genauer in Augenschein – vielleicht sogar ein wenig argwöhnisch, dachte sich Tyler. »Ihr seid also die zwei von der Tinkerfarm, ja?«
Sie nickten.
Oma Paz seufzte. »So jung! Na … amüsiert euch gut.« Sie lächelte traurig und ging in die Küche zurück.
»Bilde ich mir das bloß ein«, sagte Tyler leise zu seiner Schwester, als sie sich in der Essensschlange anstellten, »oder hat sie wirklich so getan, als wären wir in einem Selbstmordkommando?«
Als Tyler seinen dritten Teller verputzt hatte, dachte er ernsthaft daran, sich irgendwo hinzulegen und zu sterben, in dem Bewusstsein jedoch, dass er glücklich sterben würde.
Am überraschendsten an dem ganzen Tag war, wie wohl sich Simos Walkwell zu fühlen schien. Er trank Wein, spaßte mit den Carrillo-Kindern und unterhielt sich mit fast allen Leuten wenigstens ein bisschen – man hätte meinen können, ein ganz anderer Mensch sei als Walkwell verkleidet auf die Party gekommen. Tyler sah ihn sogar ein wenig mit Oma Paz flirten, die dabei kreischend auflachte und sich mit einer pummeligen Hand den Mund zuhielt.
Die kleine Alma stand schon geraume Zeit mit den Händen auf dem Rücken in Walkwells Nähe. Als er sich mit einem der Carrillo-Onkel fertig unterhalten hatte, trat sie heran und überreichte ihm etwas Langes, das so groß wie ein Federmäppchen und in gelbes Seidenpapier eingewickelt war. Walkwell machte es auf, aber so, dass Tyler nicht erkennen konnte, was darin war. Er betrachtete es eine Weile und sah dann Alma an, die von einem Fuß auf den anderen trat, als ob sie am liebsten weglaufen würde. Er sagte leise etwas zu ihr, legte ihr seine große braune Hand auf den Kopf und steckte dann das Päckchen in seine Overalltasche. Sie wurde knallrot, schaute aber sehr glücklich.
»Was hat’s da gegeben?«, fragte Tyler.
»Sie will Holzschnitzen lernen wie Mr. Walkwell«, antwortete Carmen. »Wahrscheinlich hat sie ihm was geschenkt.«
»Sie ist ziemlich gut«, sagte Steve. »Sie hat aus Seife einen Tyrannosaurus Rex gemacht, aber ich hab ihn in der Dusche liegenlassen, und jetzt ist er quasi ein Halbrex.«
»Ihr müsst sehr, sehr vorsichtig sein«, sagte Oma Paz.
Tyler und Lucinda stellten das schmutzige Geschirr ab, das sie in die Küche gebracht hatten.
»Sie passen schon auf, Mama«, sagte Silvia Carrillo.
»Das meine ich nicht.« Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Dort, wo sie in den Ferien sind, meine ich. Auf dieser Tinkerfarm. Es ist gefährlich dort – tierra peligrosa.«
»Fang nicht schon wieder mit den Geschichten an, Mama, bitte«, bat Mrs. Carrillo.
»Alle wissen es! Meine abuela, meine Großmutter, sie war Indianerin, eine Yaudanchi. Sie hat mir die Geschichten erzählt. Damals, als die Indianer hier lebten, machte sich einMann auf die
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