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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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konnte einen wahnsinnig machen. Den ganzen Herbst ging das schon so. Vannoni wußte nicht, wieso es Ende Oktober überhaupt noch Wespen gab. Er hatte keine Ahnung, wie sie ins Haus gelangten, und schon gar nicht, wieso sie sich gerade das Küchenfenster zum Sterben aussuchten. Er sagte: »Ich verstehe die Leute nicht. Jeder in Montesecco weiß, daß der Entführer von hier sein muß, aber das wird totgeschwiegen. So als wollte man nicht wahrhaben, was offensichtlich ist. Wäre es nicht normal, daß man sich gegenseitig verdächtigt und jeder jedem mißtraut?«
    »Na ja«, sagte Sabrina, »den alten Curzio haben sie durchaus verdächtigt.«
    »Weil sie wegen des Handys nicht anders konnten. Aber Marisa mußte nur behaupten, daß ihrem Vater das alte Handy abhanden gekommen sei, und schon waren alle zufrieden und gaben vor, sie hätten gleich gewußt, daß Gianmaria zu so etwas nicht in der Lage sei. Aber hat das mit dem Handy überhaupt jemand nachgeprüft? Und der Alte ist und bleibt verschwunden.«
    »Vielleicht liegt es daran, daß wir alle hier aufgewachsen sind, uns zu gut kennen und uns alle zu ähnlich sind. Wenn einer fähig ist, ein Kind zu entführen, sind es die anderen auch. Damit will sich keiner auseinandersetzen.«
    Vannoni schwieg. Ja, das war möglich. Aber daß jeder jeden kannte, schuf noch ein anderes Problem, das ihn viel mehr ängstigte. Er stand auf, stellte den Staubsauger an und nahm die breite Saugdüse ab. Mit dem blanken Rohr saugte er erst die toten Wespen und dann die noch lebenden von der Fensterscheibe auf.
    »Muß das sein?« fragte Sabrina.
    Vannoni schaltete den Staubsauger aus und sagte: »Da der Entführer aus Montesecco ist, kennt ihn auch Minh viel zu gut. Wie will er denn davonkommen, wenn er den Jungen freiläßt? Selbst wenn er mit den Millionen nachSüdamerika abhaut, sein Name ist bekannt, und bei Kindesentführungen werden alle Hebel in Bewegung gesetzt. Er wird sein Leben lang gejagt werden.«
    »Du meinst …« Sabrina schüttelte den Kopf.
    »Kein Wort zu Catia davon!« sagte Vannoni.
    »Er wird Minh nicht umbringen können, gerade weil er ihn so gut kennt.«
    »Was bleibt ihm denn anderes übrig?«
    »Wir können nur hoffen, daß es doch keiner von hier ist«, sagte Sabrina.
    »Ja«, sagte Vannoni, obwohl alle Fakten gegen eine solche Hoffnung sprachen. Von Anfang an hatte der Entführer über alles, was im Dorf geschah, Bescheid gewußt. Er hatte die Lösegeldforderung per Hand eingeworfen, der Drachen Minhs war mitten im Dorf aufgefunden, der Junge selbst aus dem Haus des Americano weggebracht worden, und zur Zeit dieser Vorkommnisse hatte sich nie ein Fremder in Montesecco aufgehalten. Selbst Curzios Handy, das offensichtlich der Entführer in Besitz hatte, war hier verschwunden, wenn man Marisa glauben durfte. Doch durfte man das? Vannoni fragte Sabrina, ob sie ihn zu den Curzios begleiten wolle, aber sie hatte noch zu tun.
    Marisa Curzio war sowieso nicht zu Hause. Sie wollte sich nicht zum fünftenmal von Donato erzählen lassen, wie er und die anderen den Vucumprà eingekesselt hatten. Von Kriegsgeschichten hielt Marisa nichts, aber vielleicht reagierte sie auch deshalb so empfindlich, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte. Seit sie Donato geheiratet hatte, war ihr nur ihr gemeinsames Glück wichtig gewesen. Sie hatte sich gesagt, daß sie nach so vielen Jahren des Alleinseins mal Anspruch darauf hätte, konnte ein ungutes Gefühl aber nie ganz unterdrücken. Ohne es sich einzugestehen, befürchtete sie, für jede glückliche Minute einmal teuer bezahlen zu müssen.
    Und nun machte sie sich Vorwürfe, weil sie ihren Vater am Friedhof allein gelassen hatte. Sie hätte viel energischerdarauf bestehen müssen, daß er sie nach Montesecco begleitete! Schließlich war er ein alter Mann, der zuviel Grappa trank und auf immer verrücktere Ideen kam, je älter er wurde. Als einzige Tochter konnte man nicht zulassen, daß so jemand Ende Oktober allein durch die Gegend irrte und sich immer mehr in seinen Verfolgungswahn hineinsteigerte.
    Es war doch lächerlich, daß Angelo Sgreccia versucht haben sollte, ihren Vater umzubringen!
    Immer wieder hatte Marisa anzurufen versucht, aber das neue Handy ihres Vaters war ausgeschaltet. Wahrscheinlich traute er seiner eigenen Tochter nicht mehr. Sie hätte unbedingt bei ihm bleiben müssen! Immerhin war er wer weiß wie lange lebendig begraben gewesen. Marisa schauderte schon bei dem Gedanken. Jemand macht die Klappe zu und

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