Die Drachen von Montesecco
worden, und ihr Mann hatte sich über Haß und Hohn des Mörders so erregt, daß er wenige Tage darauf tödlich verunglückte. Assunta hatte nur noch für ihre Rache gelebt, und als diese sich erfüllt hatte, war auch der letzte Funken in ihr erloschen. Danach folgten einander nur noch immer gleiche Tage und Nächte, die sie damit verbrachte, Gott für das zu verfluchen, was er ihrer Familie angetan hatte. Vielleicht starb sie nicht, weil der da oben Angst hatte, sie zu sich zu rufen und ihr Rede und Antwort zu stehen. Vielleicht lebte sie auch aus purem Trotz weiter, gerade weil alle sie insgeheim zum Teufel wünschten, auch wenn sie das Gegenteil beteuerten. Assuntas Schwiegertochter hatte sich einen anderen Mann ins Haus geholt. Ins selbe Bett, in dem ihr Sohn Giorgio gelegen hatte. Und ihre beiden Enkeltöchter hatten alles mögliche im Kopf, nur nicht den toten Vater und Großvater.
Doch das hier war das Haus Lucarelli, und so würde es auch bleiben, solange Assunta atmete. Hier war sie mit Carlo glücklich gewesen, hier hatte sie Giorgio auf die Welt gebracht. Daß das nicht in Vergessenheit geriet, dafür lebte Assunta und dafür trauerte sie. Seit damals trug sie Schwarz. In mehreren Schichten übereinander, denn sie fröstelte, egal, ob draußen die Sommersonne brannte oder Schnee fiel. Bis auf die Erinnerungen war alles in ihr kalt, abgefroren. Manchmal glaubte sie sogar zu hören, wie ihr Blut in Form von Eissplittern durch die Adern knirschte, doch das konnte nicht sein, denn dann würde sie ja nicht mehr leben. Aber Assunta war nicht tot. Sie war die Wächterin über die Toten, die Hüterin ihres Angedenkens.
Mit klammen Fingern entzündete Assunta eine neue Kerze und stellte sie vor die schwarz gerahmten Fotos vonGiorgio und Carlo auf der Vitrine. Das Feuer im offenen Kamin war niedergebrannt, doch noch glomm genügend Glut, um es mit ein paar Scheiten wieder entfachen zu können. Assunta schlurfte zur Holzkiste neben der Steinumfassung des Kamins. Bis auf ein paar Späne war sie leer. Als Carlo und Giorgio noch lebten, war das nie vorgekommen. Assunta ging zur Tür, rief erst nach Antonietta und dann nach den Mädchen. Bevor sie den Mann, der den Platz ihres Sohnes einzunehmen gedachte, um Hilfe bat, hätte sie sich eher die Zunge abgebissen. Es antwortete sowieso niemand. Erst jetzt fiel Assunta ein, daß sich das ganze Dorf auf die Suche nach dem entführten Jungen gemacht hatte.
Sie nahm einen Korb und ging zum Schuppen hinaus, an dessen wetterabgewandter Seite das Holz aufgeschichtet war. Die Axt lehnte am Hackstock. Assunta schüttelte den Kopf, klaubte ein paar Scheite in den Korb, schleppte sie ins Haus und warf sie auf die Glut. Dann holte sie den Schlüssel für den Schuppen, sperrte auf und trug die Axt hinein. Carlo und Giorgio hatten noch Ordnung gehalten. Jetzt ging alles drunter und drüber. Mit Mühe hob Assunta die Axt an, um sie zwischen die zwei Nägel zu hängen, wo sie hingehörte, doch das schwere Stück entglitt ihr, polterte an den Holzbrettern hinab und fiel hinter eine ausgediente Schubkarre, die dort mit der Öffnung zur Wand lehnte. Assunta schnaufte. Sie hatte fast achtzig Jahre auf dem Buckel, da bückte man sich nicht mehr so leicht. Als sie nach der Axt tastete, stieß ihre Hand an eine Plastiktüte. Auch die gehörte nicht hierher.
Assunta drehte die Schubkarre zur Seite. Es waren zwei Plastiktüten. Sie trugen den Schriftzug von Coop und waren prall gefüllt. Mit Geldscheinen. Mit nagelneuen Einhundert-Euro-Noten. Unwillkürlich bekreuzigte sich Assunta. Sie scheute sich, einen der Geldscheine anzufassen. Auch ohne zu zählen, wußte sie, daß hier das Lösegeld für Catias entführten Sohn lag. Hier. Im Haus Lucarelli. Versteckt in einem Schuppen, der normalerweise versperrt war. Dessen Schlüssel in einer Schublade in der Küche aufbewahrt wurde, zu der ein Fremder nicht so leicht Zugang hatte. Wer soviel Geld erpreßt hatte, wollte doch auch jederzeit darankommen können!
Matteo Vannoni! Er hatte sich in dieses Haus gedrängt, er hatte sich darin breitgemacht, so daß nicht einmal den Toten genug Luft zu atmen blieb, er war ein verurteilter Verbrecher, ihm war alles zuzutrauen und nichts heilig. Und er hatte die Gelegenheit gehabt. Nur er konnte das Lösegeld hier versteckt haben, denn sonst kam niemand in den Schuppen.
Außer Antonietta und die beiden Mädchen, aber die gehörten ja zur Familie. Sie waren und blieben Giorgios Frau und seine Töchter, auch wenn
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