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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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sie das immer öfter zu vergessen schienen.
    Assunta bedauerte, daß sie eine alte, gebrechliche Frau war. Mit Schimpf und Schande hätte sie sonst Matteo Vannoni aus dem Haus gejagt, ach was, abgeknallt hätte sie ihn wie einen räudigen Hund. Einen kleinen Jungen entführen, und noch dazu seinen eigenen Enkel! Wie er sich verstellt hatte, tage-und wochenlang! Sogar Assunta wäre fast darauf hereingefallen, so echt hatte seine Verzweiflung gewirkt, als der Junge verschwunden war. Als Vannoni kaum aß, kaum schlief und nichts anderes im Sinn zu haben schien, als ihn ausfindig zu machen.
    Assunta zog die beiden Plastiktüten hervor. Sie hängte die Axt an ihren Platz und stellte die Schubkarre wieder genauso an die Bretterwand wie zuvor. Nachdem sie das Geld in den Salotto getragen hatte, kehrte sie zurück, um den Schuppen abzusperren, legte den Schlüssel in die Schublade und setzte sich vor den offenen Kamin. Matteo Vannoni entführte seinen eigenen Enkelsohn? Und drohte, ihn zu töten? Assunta konnte sich vorstellen, wie die anderen darauf reagieren würden. Niemand würde das glauben. Assuntas Finger waren eiskalt. Sie streckte sie denFlammen entgegen, die im Kamin loderten. Die Plastiktüten mit dem Geld standen neben ihrem Sessel.
    Die anderen würden ebenfalls nicht verstehen, daß nur Matteo Vannoni das Lösegeld im Schuppen versteckt haben konnte. Wieso nicht Antonietta? würden sie fragen. Wieso nicht Sabrina oder Sonia? Es ist euer Schuppen, würden sie sagen, der Schuppen der Familie Lucarelli. Mühsam erhob sich Assunta. Die Kerzenflamme auf der Vitrine flackerte ein wenig. Assunta hatte ein altes Foto ihres Mannes gewählt, weil er da seinen Hochzeitsanzug trug. Es war an seinem dreißigsten Geburtstag im Studio von Pierini aufgenommen worden. Ohne sich anzulehnen und etwas steif saß Carlo auf einem Sessel. Der rechte Arm ruhte auf der Lehne, die linke Hand stützte sich auf seinem Knie ab. Die Lippen unter dem sorgsam gestutzten Schnurrbart waren geschlossen, die Augen blickten Assunta so ernst entgegen, als hätte Carlo damals schon geahnt, daß er seine Frau allein zurücklassen würde.
    Ihr Sohn auf dem anderen Foto lachte dagegen übers ganze Gesicht. Im Hintergrund sah man einen Teil des Hauses. Der Türrahmen war mit rosa Schleifchen geschmückt. An jenem Tag hatten sie Sonias Taufe gefeiert. Niemand hatte Giorgio angemerkt, daß er auf einen Stammhalter gehofft hatte. Er hielt eine Zigarre in der Hand und hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt. Es war ein heißer Sommertag gewesen, an dem man gar nicht so schnell trinken konnte, wie man die Flüssigkeit wieder ausschwitzte. Auch Assunta war es damals noch warm gewesen.
    Sie schlurfte zu ihrem Sessel zurück und schob ihn ein wenig näher an das Kaminfeuer. War es möglich, daß ein Fluch auf der Familie lag? Genügte es nicht, daß die Männer innerhalb weniger Tage aus dem Leben gerissen worden waren? Daß der Name Lucarelli zum Aussterben verurteilt war? Mußte auch noch ein schreckliches Verbrechen dafür sorgen, daß man selbst die Erinnerung an ihn gernaus seinem Kopf verbannte? Assunta fror. Sie hatte immer geglaubt, daß die Hölle von Feuerstürmen und heißen Lavaströmen glühte. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Vielleicht gab es dort nur eine leere Eiswüste, ähnlich der, die sie in sich spürte. Vielleicht lag die Hölle in ihr selbst.
    Assunta starrte ins Feuer. Ein Holzscheit knackte. Funken flogen auf und erloschen sofort. Nein, es gab keinen Fluch. Es war nicht möglich, daß Antonietta oder Sabrina oder Sonia einen kleinen Jungen entführt hatten. Das durfte nicht sein, und das konnte nicht sein. Und deswegen hatte auch keine von ihnen irgendwo Lösegeld versteckt. Nie hatten zwei Plastiktüten im Schuppen der Lucarellis gestanden. Wer so etwas behauptete, der sollte versuchen, es zu beweisen. Schnell würde man merken, daß eine solche Behauptung sich in nichts als Rauch auflöste.
    Assunta griff mit beiden Händen in die vordere Tüte und warf die Geldbündel ins Kaminfeuer. Gelblichgrün züngelten die Flammen an den Packen entlang. Von außen nach innen färbten sie sich schwarz, doch Assunta mußte den Feuerhaken verwenden, um sie zu Ascheflocken zu zerstoßen. Von den nächsten Bündeln entfernte sie die Banderolen und streute die Einhundert-Euro-Scheine lose in den Kamin. Jetzt flammte das Feuer gewaltig auf, züngelte weit in den gemauerten Abzug hoch. Langsam begannen sich Assuntas Finger zu erwärmen.
    Das Blut

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