Die Drachen von Montesecco
für vierhundert Betriebsstunden abzugeben. Fast neuwertig. Über den Preis können wir reden.«
Elena Sgreccia stieß ihren Mann in die Seite.
»Was ist?« fragte Angelo.
»Du wolltest doch schon immer ein Ame…, so ein Ding haben!«
»Ich?«
»Ja, du.«
»Wozu sollte ich denn …?«
»Na, um den Wind zu messen«, sagte Elena.
»Den Wind zu messen?« fragte Angelo verdutzt. Er überlegte. Er nickte. Er sagte: »Na klar, um den Wind zu messen.«
Marta lehnte sich sacht an Ivan. Als er den Arm um ihre Schulter legte, schmiegte sie sich an ihn. Die frische Brise mit Stärke fünf auf der Beaufort-Skala verwirbelte ihr Haar. Mit der freien Hand strich Ivan ihr ein paar Strähnen hinters Ohr zurück.
Zuerst fiel es Matteo Vannoni auf, und dann bemerkten auch die anderen, daß alle drei Glocken des Kirchturms gleichzeitig schlugen. Das war nicht mehr vorgekommen, seit der Americano vorletzten Sommer in ziemlich angetrunkenem Zustand beschlossen hatte, das ganze Dorf mit einem Mitternachtskonzert zu beglücken. Man hatte ihn mit beträchtlicher Mühe die steilen Hühnerleitern hinuntergeschleppt. Ansonsten konnte sich Vannoni nur an ein solch drängendes Geläute erinnern, als in seiner Jugend der Schafstall Luigis in Flammen aufgegangen war. Tagelang hatte er danach den Gestank verbrannten Fleischs in der Nase gehabt.
»Sie läuten Alarm!« rief jemand, und obwohl kein Rauch zu sehen war, liefen alle sofort ins Dorf zurück. Als dieersten völlig außer Atem unter dem Kirchturm anlangten, sahen sie die alte Costanza Marcantoni neben der offenen Tür stehen. Sie krampfte ihre knochige Hand um das schwarze Tuch, das sie über ihren Buckel geworfen hatte, und sagte: »Ich kann nichts dafür. Ich habe ihr gesagt, daß man nicht zum Scherz Alarm schlägt.«
»Was ist passiert?« fragte Vannoni keuchend durch das Glockenläuten.
»Nichts, gar nichts. Giorgio ist halt ein Junge, der spielen und sich austoben will. Das ist doch nichts Schlimmes, Paolo, oder?«
»Ich bin Matteo«, sagte Vannoni.
»Und Giorgio ist seit acht Jahren tot«, sagte Catia.
»So?« Costanza blickte sie mißtrauisch an. »Wieso läßt er dann Drachen steigen?«
»Was?« Catia packte Costanza am Arm.
»Du hast Minh gesehen?« fragte Vannoni. Er atmete immer noch schwer.
»Glaubt ihr, ich merke nicht, daß ihr mich alle für blöd haltet?« keifte Costanza. »Ich weiß genau, daß es Giorgio ist. Er benützt zwar einen roten Drachen, keinen grünen wie gestern, aber ich erkenne es an den Bewegungen. Keiner führt den Drachen wie Giorgio.«
»Wo hast du ihn gesehen?« fragte Vannoni schnell.
»Dräng mich nicht so!« nörgelte Costanza. »Ein bißchen mehr Respekt vor dem Alter würde dir nicht schaden, Paolo!«
»Wo?« brüllte Catia.
Costanza starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Ihre Hand knüllte den schweren Stoff des Tuchs vor ihrer Brust zusammen. Oben im Turm beugte sich Lidia Marcantoni aus der offenen Luke. Sie zeigte in Richtung Südwesten und rief: »Dort! Er muß auf der Kuppe sein, wo früher die Bennis wohnten.«
Die Glocken schwangen mit immer leiseren Tönen aus. Durch die größeren Abstände zwischen den Schlägen ergab sich eine einfache Melodie, auf die niemand hörte. Die ersten eilten schon hinab zur Piazza, wo die Autos geparkt waren. Franco Marcantoni rief, man solle warten, bis er sein Gewehr geholt habe. Und etwas zu essen für den Jungen, ergänzte Marisa Curzio. Angelo Sgreccia schlug vor, daß zwei Wagen die Straße übers Nevola-Tal nehmen sollten, um jeden Fluchtweg dichtzumachen. Catia fragte zur Turmluke hoch, ob Minh selbst zu sehen sei, doch Lidia schüttelte den Kopf. Dann rief sie: »Jetzt geht der Drachen nieder. Er ist weg. Macht schnell, um Himmels willen!«
Catia wurde kreidebleich. Mit fast unnatürlicher Ruhe folgte sie den anderen Richtung Piazza. In kurzem Abstand knallten zwei Autotüren. Ein Motor sprang an. Vannoni mußte sich erst von Costanza losmachen, die seine Hand umkrallte, hinter Catia her nickte und flüsternd fragte: »Was ist denn das für eine, Paolo?«
Vannoni ließ sie stehen. Die Alte schlug das Tuch über ihre Haare, grummelte, sah zu, wie auch Lidia aus der Kirchturmtür trat und den anderen nacheilte, schüttelte dann den Kopf und murmelte: »Und nur, weil Giorgio einen Drachen steigen läßt! Die sind doch alle verrückt. Und Respekt haben sie auch keinen.«
Ich zog den Zündschlüssel ab, bevor der Wagen völlig zum Stehen gekommen war. Die Fahrertür ließ
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