Die Drachenflotte (German Edition)
Lucia zu. Unschlüssig, wohin sie ausweichen sollte, zögerte sie endlos, bis Knox sie kurzerhand so grob wegstieß, dass es sie zu Boden schleuderte.
Der Kranführer wandte den Blick aufs Meer, offensichtlich mit der Überlegung, den Anker wieder ins Wasser hinunterzulassen. Aber das hätte das Taucherteam, das noch unten war, in größte Gefahr gebracht. Knox wartete, bis der Anker den nächsten Umkehrpunkt seiner Pendelbewegung erreichte, dann packte er zu und zog sich hoch. Wie ein Kind, das eine Spielplatzschaukel abbremst, begann er, mit seinem Körpergewicht gegen den Schwung zu arbeiten. Miles, der sofort begriff, was er tat, hievte sich ebenfalls hoch, und gemeinsam gelang es ihnen, den Anker so weit zu beruhigen, dass der Kranführer ihn gefahrlos durch die offene Luke abwärts führen konnte. In dem Moment, als der Lukenrand passiert wurde, sprangen sie ab, sodass die anderen die Luke schließen konnten. Dem Anker war damit der Raum zum Schwingen genommen, die Gefahr, dass er Schaden anrichten würde, war gebannt. Sie hörten ihn krachend auf dem Boden des Laderaums aufschlagen und kurz hin und her kippen, bis er seine Ruhelage gefunden hatte.
Als sie die Luke wieder öffneten, waren die Konservatoren schon dabei, den Anker aus den Schlingen zu lösen. Irgendwie hatte es auch Ricky schon nach unten geschafft und brüllte Maddow mit seiner Kamera die gewohnten Befehle zu. Knox schaute sich um. Niemand schien ernstlich verletzt zu sein, wenngleich Lucia, ein wenig blass im Gesicht, immer noch auf ihren vier Buchstaben auf dem Deck hockte.
«Tut mir leid», sagte Knox und half ihr auf.
«Wahnsinn!», sagte sie. «So ein Riesending. Der hätte mich plattgemacht.» Sie klopfte sich ab und sah ihn mit einem leicht ironischen Lächeln an. «Ich hoffe, Sie haben nicht vor, alles auf diese Art heraufzuholen.»
«Keine Sorge», versicherte er. «Das kam nur daher, dass im ungünstigsten Moment eines unserer Strahlruder ausgefallen ist. Wir haben Ersatz. Und es ist höchst unwahrscheinlich, dass wir noch ein Stück von dieser Größe finden.»
«Wenn Sie das sagen.»
Er blickte aufs Wasser hinaus, als er eine Bewegung wahrnahm: Gary am Steuer ihres Bayliner, der Dieter Holm zu seiner Präsentation brachte. Er beugte sich über die Seite, um das Motorboot zu beobachten, das wenig elegant durch die unruhige See pflügte und weit mehr Wasser fasste, als gut war.
«Wollten Sie heute Abend noch nach Morombe zurück?», fragte er.
«Oh-oh», sagte Lucia. «Das klingt nicht gut.»
«Das Wetter ist ziemlich übel», sagte er. «Wenn es sich nicht bald bessert …»
«Könnte ich denn hier irgendwo übernachten?»
«Natürlich. Aber wahrscheinlich wird es dazu gar nicht kommen.»
«Na, dann hoffe ich mal das Beste. Darf ich Ihnen noch eine Frage stellen?»
«Klar. Schießen Sie los.»
Mit einem fast entschuldigenden Lächeln sagte sie: «Ihr Chef hat mir da so ein Stück Familienfolklore von sich erzählt.»
«Aha.»
«Angeblich ist einer seiner Vorfahren auf einem riesigen Schiff von China aus nach Kalifornien gelangt. Er sagt, das sei vor mindestens fünfhundert, wenn nicht sogar sechshundert Jahren gewesen, also gut hundert Jahre, bevor der erste Europäer dort ankam.»
«Das ist durchaus plausibel», meinte Knox. «Nachdem die Spanier 1520 die Philippinen entdeckt hatten, entwickelte sich ein reger Warenaustausch zwischen Manila und Mexiko. Ganz sicher kamen damals einige Chinesen bis nach Amerika. Vielleicht war Rickys Vorfahr einer von ihnen.»
«Er behauptet etwas anderes.»
«Das weiß ich», sagte Knox. Ricky war überzeugt, dass seine Vorfahren lange vor Kolumbus und den Spaniern auf einem von Zheng Hes Schatzschiffen Amerika erreicht hatten; und folglich die Chinesen die wahren Entdecker und die ersten Siedler Amerikas waren.
«Und? Glauben Sie, er ist ein Spinner?»
«Man hat auch Schliemann für einen Spinner gehalten», erwiderte Knox. «Und er hat Troja entdeckt. Viele hielten Kolumbus seinerzeit für einen Spinner. Und er entdeckte die Neue Welt.»
«Und Sie würden Ihren Chef dieser Kategorie zuordnen?»
«Manchmal machen Menschen wichtige Entdeckungen, weil sie trotz des Spotts von allen Seiten an ihren unorthodoxen Überzeugungen festhalten. Die meisten hätten längst das Handtuch geworfen, aber Ricky hat sich nicht beirren lassen, und dafür bewundere ich ihn.»
Das war nicht gelogen. Vor dreißig Jahren hatte Ricky sich vorgenommen zu beweisen, dass die Familienüberlieferung
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